Weil die Zeugen Jehovas in der Regel nicht wählen gehen, hat Selters ein Problem

Selters hat ein Demokratieproblem. Finden zumindest die Freien Wähler Selters und die Unabhängigen Wähler Eisenbach. Deshalb haben die Gruppierungen gemeinsam eine Petition an den Hessischen Landtag verfasst. Dessen Antwort ist erstaunlich. Selters-Eisenbach: Georg Horz macht gerne den Mund auf. Seit März sitzt er für die Unabhängigen Wähler Eisenbach (UWE) im Gemeindeparlament. Und die finden, dass Eisenbach, wenn es um Bürgerbeteiligung geht, ein Problem hat.

Denn in Eisenbach wohnen rund 900 Zeugen Jehovas, einer Gemeinschaft, deren Mitglieder in der Regel aus religiösen Gründen nicht zur Wahl gehen. Zwar gab es in Selters noch nie einen Bürgerentscheid. Doch wenn es einen gäbe, würde diese Tatsache ihn deutlich erschweren. Deshalb haben Horz für die UWE und Hans-Willi Ort für die Freien Wähler Selters (FWS) beim Hessischen Landtag eine Petition eingereicht.

 

Das steht in der Petition

Selters hat 6614 Wahlberechtigte. Rund 900 von ihnen, also fast 14 Prozent, gehören den Zeugen Jehovas an. Bei einem möglichen Bürgerentscheid ist das ein Nachteil: Damit er als gewonnen gilt, muss er die Mehrheit der gültigen Stimmen bekommen haben – mindestens aber die Stimmen von 25 Prozent aller Wahlberechtigten. Weil die in Selters schwieriger zu bekommen seien, forderten UWE und FWS die Landesregierung auf, zu überprüfen, ob das Quorum in Gemeinden, in denen Zeugen Jehovas leben, abhängig von deren Zahl gesenkt werden könnte. Sie rechnen sich Chancen aus. „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, sagt Horz.

 

Das sagen Jehovas Zeugen

„Zeugen Jehovas sind dafür bekannt, dass sie bei persönlichen Entscheidungen biblische Grundsätze berücksichtigen“, sagt Wolfram Slupina, Pressesprecher der Gemeinschaft. Sie berufen sich dabei zum Beispiel auf das Johannesevangelium, in dem Jesus sagt: „Sie (seine Anhänger) sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ (Joh 17, 16). Da Politik ein sehr weltliches Geschäft sei, halte man sich von ihr fern.

Weiter verweisen die Zeugen Jehovas auf 1,10 des Korintherbriefs: „Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung.“ Auch daraus ergebe sich, dass man für niemanden Partei ergreifen dürfe. Sonst könnte man ja auch nicht mit allen gleichermaßen „über die frohe Botschaft von Gottes Königreich“ reden. Slupina sagt aber auch: „Jeder Zeuge Jehovas handelt eigenverantwortlich. Ob ein Zeuge Jehovas an einer Wahl teilnimmt, ist folglich eine individuelle Entscheidung jedes Einzelnen.“

 

Das sagt der Landtag

Der Landtag lehnt eine Senkung des Quorums ab. Und zwar aus drei Gründen: Erstens gingen auch in anderen Gemeinden aus verschiedenen Gründen Menschen nicht zur Wahl. Das sei ihr Recht, da „bei Bürgerentscheiden nur ein Recht, aber keine Verpflichtung zur Abstimmung besteht“. Die Situation in Selters sei damit also nicht anders zu bewerten als in anderen Gemeinden. Zweitens wäre „nicht sichergestellt“, dass diejenigen Zeugen Jehovas, die doch wählen wollen, sich beteiligen können. Und eine Einschränkung des Stimmrechts aufgrund der Religion widerspreche Artikel 1 der Hessischen Verfassung. Und drittens würde „der Grundsatz der repräsentativen Demokratie abgewertet, wenn es durch eine allzu niedrige Ausgestaltung des Abstimmungsquorums ,Aktivbürgern‘ sehr leicht gemacht werden würde, ihre speziellen Interessen durchzusetzen“.

„Die Begründung ist nachvollziehbar“, sagt Georg Horz. Am Problem ändere das allerdings nichts. „Diejenigen, die in Zukunft ein Bürgerbegehren machen wollen, müssen sich in Selters eben ein bisschen mehr ins Zeug legen als anderswo.“

Quelle: nnp.de