9. Kapitel: 1975: „Der passende Zeitpunkt für Gottes Eingreifen“

9 1975: „Der passende Zeitpunkt für Gottes Eingreifen“ *
9.1 Der Glaube an Prophezeiungen werden untergraben, sie werden auf die Zukunft verschoben!
9.1.1 Die Spekulation mit der Vergesslichkeit der Anhänger

„Eure Sache ist es nicht, Zeiten oder Termine zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat“ (Apostelgeschichte 1:7, Wilckens).

Wahrend der zweiten Hälfte von Rutherfords Präsidentschaftszeit ließ man die meisten der älteren Zeitprophezeiungen. die in der ersten Hälfte so emsig propagiert worden waren, nach und nach fallen oder verschob sie. Der Anfang der „letzten Tage“ wurde von 1799 auf 1914 verlegt.

Der Beginn der Gegenwart Christi wurde von 1874 gleichfalls auf 1914 verschoben, so wie es 1922 bereits mit dem offiziellen Beginn der aktiven Königreichsherrschaft Christi im Jahr 1878 getan worden war.

Der Beginn der Auferstehung wurde von 1878 auf 1918 hinausgeschoben. Eine Zeitlang hieß es sogar, das Jahr 1914 habe das „Ende der Welt“ gebracht in dem Sinne, daß Gott den weltlichen Nationen das Herrschaftsrecht entzogen habe. Doch bald war davon nicht mehr die Rede; das „Ende“ oder „der Abschluß des Systems der Dinge“ (wie es in der Neuen-Welt-Überset­zung heißt) soll jetzt in der Zukunft liegen.

9.1.2 Der Spuk um Dinge, die im „unsichtbaren Bereich“ stattfinden sollen

Da es dabei immer nur um Dinge ging, die unsichtbar waren, kam es ganz auf die Glaubwürdigkeit der vorgetragenen Auslegung an. Nach einer Sitzung der leitenden Körperschaft, in der es um diese Zeitprophezeiungen und deren Verschiebungen ging, sagte Bill Jackson mit einem Lächeln zu mir: „Früher haben wir immer gesagt: Man braucht das Datum nur von einer Schulter auf die andere zu legen.“

Erst nach Rutherfords Tod 1942 wurde das Jahr 606 v. u. Z. nicht mehr als Beginn der 2520 Jahre angesehen. Merkwürdigerweise hatte 60 Jahre lang niemand bemerkt oder zugegeben, daß 2520 Jahre, ab 606 v. u. Z. gerechnet, eigentlich bis 1915 dauern.

Sang- und klanglos wurde dann der Ausgangspunkt um ein Jahr zurückver­legt auf 607 v. u. Z., so daß man das Jahr 1914 als Ende der 2520 Jahre beibehalten konnte. Historisches Beweismaterial dafür, daß die Zerstörung Jerusalems bereits ein Jahr eher als angegeben stattgefunden hätte, war keines aufgetaucht. Einzig der Wunsch der Organisation, das Jahr 1914 als Schlüsseldatum beizubehalten, auf das man so lange hingewiesen hatte (ganz im Gegensatz zu 1915), veranlagte die Zurückverlegung der Zerstörung [191] Jerusalems um ein Jahr. Auf dem Papier ist das ja auch weiter kein Problem.

9.1.3 Man irrte auch mit dem Ende der 6000-Jahrperiode um gute 100 Jahre: Nun war es 1975. Dann erzeigte sich auch dies erneut als Irrtum!

Mitte der 1940er Jahre entschied man dann, daß die zu Russells und Rutherfords Zeiten verwendete Chronologie die Zeitspanne bis zur Erschaf­fung Adams um mindestens 100 Jahre verkehrt angab. Im Jahr 1966 liess die Organisation verlauten, 6000 Jahre Menscheitsgeschichte endeten 1975 und nicht 1874, wie man zuvor gesagt hatte.

Dies wurde im Sommer 1966 in einem Buch veröffentlicht, das den Titel trug Ewiges Leben – in der Freiheit der Söhne Gottes, verfaßt von Fred Franz. In Kapitel 1 war darin vom Jubeljahr die Rede, das schon bei den Voraussagen über 1925 eine wichtige Rolle gespielt hatte. Es wurde (wie auch damals schon) die Ansicht vertreten, die Menschheit solle sechs „Tage“ zu je 1000 Jahren in Unvollkommenheit leben, worauf ein siebenter „Tag“ von 1000 Jahren folge, in dessen Verlauf die Vollkommenheit wiedererlangt werden würde – ein großes Jubeljahr der Befreiung von der Versklavung unter Sünde, Krankheit und Tod. Auf den Seiten 29 und 30 konnte man lesen:

„Seit der Zeit Usshers ist ein intensives Studium der biblischen Chronologie betrieben worden. In diesem zwan­zigsten Jahrhundert wurde ein unabhängiges Studium durchgeführt, das nicht blindlings den traditionellen chro­nologischen Berechnungen der Christenheit folgte, und die [30]veröffentlichte Zeittafel, die von diesem unabhängigen Studium herrührt, gibt das Datum der Erschaffung des Menschen mit 4026 v.u.Z. an. Gemäss dieser zuverlässigen Bibelchronologie werden 6000 Jahre, von der Zeit der Erschaffung des Menschen an, mit dem Jahre 1975 enden, und die „siebente Periode von eintausend Jahren Menschheitsgeschichte beginnt im Herbst des Jahres 1975 u.Z. Sechstausend Jahre der Existenz des Menschen auf Erden werden bald vorüber sein, ja, innerhalb dieser Generation. Jehova Gott ist ewig, wie das in Psalm 90:1, 2 (NW) gesagt wird: „O Jehova, du selbst hast dich von Generation zu Generation als unsere wirkliche Wohnung erwiesen. Ehe die Berge selbst geboren waren oder du die Erde und da, ertragfähige Land wie unter Geburtswehen hervorbringen ließest, ja, von unabsehbarer Zeit zu unab­sehbarer Zeit bist du Gott. So sind vom Standpunkt Jehovas Gottes aus diese verflossenen sechstausend Jahre der Existenz des Menschen wie nur sechs Tage von vierund­zwanzig Stunden, denn in diesem gleichen Psalm (Verse 3, 4, NW) heißt es weiter: Du lässt den sterblichen Men­schen zurückkehren zu zerfallener Materie und sprichst: Kehrt zurück, ihr Menschensöhne.‘ Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er ver­gangen ist, und wie eine Wache in der Nacht. So erreichen wir nicht viele Jahren innerhalb unserer Generation das was Jehova Gott als den siebenten Tag der Existenz des Menschen ansehen könnte.“ [192]

Welche Bedeutung sollte das haben? Folgendermassen wurde der Gedanken­gang weitergeführt:

„Wie Passend es für Jehova Gott sein würde, diese kommende siebente Periode von tausend Jahren zu einer [31] Sabbbatperiode der Ruhe und Befreiung zu machen, zu einem grossen Jubelsabbat, um Freiheit auf der ganzen Erde allen ihren Bewohnern auszurufen! Das würde für die Menschen äusserst zeitgemäss sein. Es würde auch von Gott aus sehr zeitgemäss sein, denn erinnere dich bitte daran, die Menschheit hat nur noch das vor sich, was das letzte Buch der Heiligen Schrift über die Tausendjahrherrschaft Jesu Christi über die Erde , die Milleniumsherrschaft Jesu Christi sagt. Prophetisch sagte Jesus Christus, als er vor neunzehnhundert Jahren auf der Erde war, über sich selbst: „ Denn der Sohn des Menschen ist Herr über den Sabbat“ (Matthäus 12:8) Es würde sich nicht nur lediglich um Zufall oder Wahrscheinlichkeit handeln, sondern es würde gemäss dem liebenden Vorhaben Jehovas Gottes sein, dass die Herrschaft Jesu Christi, des ‚Herrn über den Sabbat?, parallel mit dem siebenten Millenium der Existenz des Menschen läuft.“

Hatte die Organisation damit platt verkündet, 1975 sei der Beginn des Millenniums? Das nicht, doch dieser Absatz war der Höhepunkt, auf den die gesamte umständliche Beweisführung des Kapitels zusteuerte.

9.1.4 1975 als das für Gott passende Jahr für den Beginn des Millenniums angezeigt

Klare, uneingeschränkte Aussagen über 1975 macht der Verfasser nicht, doch er fühlt sich so frei, es als „passend“ und „von Gott aus sehr zeitgemäß“ zu bezeichnen, wenn Gott das Millennium zu genau jenem Zeitpunkt beginnen ließe. Wenn ein unvollkommener Mensch sagt, was für den allmächtigen Gott passend ist und was nicht, so muß vorausgesetzt werden, daß er sich seiner Sache sehr sicher ist und daß es sich nicht nur um seine persönliche Ansicht handelt. Schon allein die Klugheit würde das zwingend gebieten. Noch unzweideutiger ist die dann folgende Aussage, es „würde gemäß dem liebenden Vorhaben Jehovas Gottes sein, daß die Herrschaft Jesu Christi, des Herrn über den Sabbat‘, parallel mit dem siebenten Millennium der Existenz des Menschen läuft“, und von diesem siebenten Millennium war zuvor gesagt worden, es beginne 1975.

Im Jahr darauf erschien in Erwachet!, der Begleitzeitschrift des Wacht­turms, in der Ausgabe vom 22. April 1967 ein Artikel mit der Überschrift „Wie lange wird es noch dauern?“ Dort wurde unter „1975 sind 6000 Jahre abgelaufen“ ebenfalls erklärt, daß das Millennium die letzten 1000 Jahre eines 7000jährigen Ruhetages Gottes umfasse. Weiter hieß es dann (Seite 19, 20):

„Die Tatsache, daß wir uns dem Ende der ersten 6000 Jahre Menschheits­geschichte nähern, ist daher von großer Be­deutung. [193] Fällt Gottes Ruhetag mit der Zeit zusam­men, die seit der Erschaffung des Menschen vergangen ist? Offenbar. Die zuverlässigsten Untersuchungen der biblischen Zeitrechnung, die mit vielen Daten, die die Weltgeschichte anerkennt, übereinstimmt, zeigen, daß Adam im Herbst des Jahres 4026 v, u.Z. erschaffen wurde. In jenem Jahr konnte auch Eva er­schaffen worden sein, und gleich darauf mußte Gottes Ruhetag begonnen haben. In welchem Jahr wären dann die ersten 6000 Jahre Menschheitsgeschichte und auch die ersten 6000 Jahre des göttlichen Ruhetages zu Ende? Im Jahre 1975. Das ist beachtenswert, besonders wenn man bedenkt, daß im Jahre 1914 die „letzten Tage“ begannen und daß die Geschehnisse unserer Tage, durch die sich biblische Prophezeiungen erfüllen, diese Ge­neration als die letzte dieser bösen Welt kennzeichnen. Wir können daher erwarten, daß sich in naher Zukunft Dinge abspielen werden, die alle, die an Gott und seine Ver­heißungen glauben, begeistern werden. Es bedeutet, daß wir im Laufe verhältnismäßig weniger Jahre Zeugen von der Erfüllung der restlichen Prophezeiungen sein werden, die mit der .Zeit des Endes“ zu tun haben.“

Im Wachtturm vom 1. August 1968 wurden diese Erwartungen weiter geschürt. Erst wurde im wesentlichen derselbe Gedankengang wie in dem eben erwähnten Artikel vorgetragen, und dann war zu lesen (Seite 464):

„In der unmittelbaren Zukunft werden sich die Ereignisse überstürzen, denn dieses alte System geht seinem vollständigen Ende entgegen. Es dauert höchstens noch ein paar Jahre bis sich der letzte Teil der biblischen Pro­phezeiung über diese „letzten Tage“ erfüllen wird und die Menschen, die dann noch am Leben sind, durch die herrliche Tausendjahrherrschaft Christi befreit werden. Schwere Zeiten, aber zugleich auch wunderbare Zeiten stehen uns bevor!“ [194]

Heute, 20 Jahre später, fragt man sich, was denn mit „der unmittelbaren Zukunft“ gemeint sein könnte. Wie viele Jahre sind „höchstens noch ein paar Jahre“?

9.1.5 „Die Kürze der verbleibenden Zeit“ sollte die Erwachet!-Leser auf das Jahr 1975 einstimmen

Und noch ein weiteres Mal wurde die Kürze der verbleibenden Zeit hervorgehoben, diesmal in der Erwachet!-Ausgabe vom 8. April 1969 in einem Artikel mit der Überschrift „Was werden die 1970er Jahre bringen?“, der wie folgt beginnt (Seite 13):

„DIE Tatsache, daß mehr als vierundfünf­zig Jahre der Zeitspanne, die als die .letzten Tage“ bezeichnet wird, verflossen sind, ist hoch bedeutsam: im Höchstfall dauert es nur noch wenige Jahre, bis Gott das verderbte System der Dinge, dar jetzt die Erde beherrscht, vernichten wird.“

Im selben Artikel wird an anderer Stelle über das Jahr 1975 als den Abschluß von 6000 Jahren Menschheitsgeschichte gesagt (Seite 14):

„Die Tatsache, daß wir in den letzten paar Jahren dieser .Zeit des Endes“ leben, kann noch auf eine andere Weise nachgewiesen werden. (Dan. 12:9) Die Bibel zeigt, daß 6000 Jahre Menschheitsgeschichte bald abge­laufen sind.“

Immer wieder zitierten die Wachtturm-Veröffentlichungen Aussprüche von Prominenten oder von angeblichen Experten auf irgendeinem Gebiet, die sich auf 1975 bezogen, so beispielsweise Dean Acheson, den früheren US-Außenminister, der 1960 gesagt hatte:

„Ich bin über das, was vor sich geht, ausreichend unterrichtet, um mit Sicherheit sagen zu können, daß diese Welt heute in 15 Jahren (oder bis 1975) zu gefährlich sein wird, um darin zu leben.“

Mehrfach wurde das Buch Famine -1975! (Hungersnot – 1975!) zitiert, das zwei Ernährungswissenschaftler geschrieben hatten, besonders die folgen­den Auszüge:

„Bis 1975 wird die Welt von einer beispiellosen Katastrophe heimgesucht werden. Der Hunger, wie es noch keinen gegeben hat, wird in den unterentwickelten Ländern grassieren.“

„Ich sage ein bestimmtes Jahr voraus, nämlich 1975; in diesem Jahr werden wir uns in der neuen Krise in ihrer ganzen furchtbaren Bedeutung befinden.“

„Bis 1975 werden in vielen Hungerländern Rechtlosigkeit, Anarchie, Militärdik­tatur, galoppierende Inflation, Zusammenbruch des Verkehrswesens, Chaos und Unruhen an der Tagesordnung sein.“

Drei Jahre, nachdem Fred Franz in dem Buch Ewiges Leben – in der Freiheit der Söhne Gottes erstmals die Aufmerksamkeit auf 1975 gelenkt hatte, [195] verfaßte er eine weitere Schrift, mit dem Titel Tausend Jahre Frieden nahen![1] Darin drückte er sich noch eindeutiger und genauer aus als zuvor, sofern das überhaupt noch möglich war. Auf den Seiten 25 und 26 dieser 1969 veröffentlichten 32seitigen Broschüre stand:

„Vor einiger Zeit haben ernsthafte Erforscher der Bibel deren chronologische Angaben neu überprüft. Nach ihren Berechnungen wird die Menschheit um die Mitte der 1970er Jahre sechs Millionen auf der Erde sein. Das siebente Millennium nach Adams Erschaffung durch Jehova Gott würde somit in weniger als zehn Jahren beginnen. Der Herr Jesus Christus kann nur „Herr über den Sabbat“ sein, wenn die tausend Jahre seiner Herrschaft die siebente Periode einer Reihe von Tausendjahrperi­oden oder Millenien ist. (Matthäus 12:8) Dann ist seine Herrschaft nämlich eine Sabbatherrschaft.“

9.2 Das Sabbatjahr in dem erneut keine Freiheit ausgerufen wurde!
9.2.1 Jene die das Sabbatgebot leugnen machen sich stark für den „Herrn des Sabbats“

Die Beweiskette ist ganz simpel: So wie der Sabbat die siebente Periode nach sechs Perioden der Mühsal war, so wird Christi Tausendjahrherrschaft ein sabbatgleiches Millennium sein, das auf die sechs Millennien der Mühsal und des Leidens folgt. Die Darstellung ist in keiner Weise unbestimmt oder mehrdeutig gehalten. Das kommt am besten auf Seite 26 zum Ausdruck:

„Der Herr Jesus Christus kann nur ‚Herr über den Sabbat’ sein, wenn die tausend Jahre seiner Herrschaft die siebente Periode einer Reihe von Tausendjahrperioden oder Millennien ist.“

So wie man für Gott festgelegt hatte, was zu tun für ihn „passend“ oder „sehr zeitgemäß“ wäre, so wird hier Christus vorgeschrieben, wie er zu handeln hat. Damit er das sein kann, was er gesagt hat, nämlich „Herr über den Sabbat“, muß seine Herrschaft das siebente in einer Folge von Millen­nien sein. Menschliches Denken schreibt das dem Sohn Gottes vor. Im Jahre 1975 würden 6000 Jahre enden; demnach muß die Herrschaft Christi das darauf folgende siebente Jahrtausend umfassen. Damit hatte der „Sklave“ letztlich das Programm umrissen, das sein Herr und Meister auszuführen hätte, wollte dieser seinem Wort treu bleiben.

Das ganze glich auffällig dem, was in Richter Rutherfords Broschüre Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben gestanden hatte, womit dieser sich, wie er selbst zugab, lächerlich gemacht hatte. Diesmal war nur der Stil eleganter. Es war, als hätte man die Uhr um rund ein halbes [196] Jahrhundert zurückgedreht, auf die Zeit vor 1925. Die gleichen Gedanken wie damals waren wieder zu hören, nur diesmal auf 1975 bezogen.[2]

Als die siebziger Jahre anbrachen, wurden die Erwartungen weiter ange­heizt. In Erwachet! vom 22. April 1972 war wieder die Rede von sechs Perioden der Mühsal und Arbeit, gefolgt von einer siebenten (Sabbat-) Periode der Ruhe. Dann hieß es:

„Da in diesem Jahrzehnt 6000 Jahre der Menschheitsge­schichte enden werden, besteht die herrliche Hoffnung, daß ein großartiger Sabbat der Ruhe und Erquickung nahe ist.“

Auf der vorhergehenden Seite war folgende Graphik zu sehen:

„Da wir uns Mitte der 1970er Jahre dem Zeitpunkt nähern, da 6000 Jahre der Menschheitsgeschichte enden, besteht die herrliche Hoffnung bald von dem gegenwärtigen Druck befreit zu werden.“

6000 Jahre der Menschheitsgeschichte Wahrheiten jetzt! 9. Kapitel: 1975: „Der passende Zeitpunkt für Gottes Eingreifen“ Der Gewissenskonflikt – Menschen gehorchen oder Gott treu bleiben

9.2.1 Wer beständig falsche Hoffnungen weckt, die nie erfüllt werden, der richtet sich und andere zugrunde (Spr 10:28; 11:7)

All diese Aussagen beabsichtigen sehr deutlich, Hoffnung und Spannung zu wecken und zu schüren. Sie sollen ganz und gar nicht übersteigerte Erwartungen dämpfen oder abbauen helfen. Wohl stand meist noch ein einschränkender Satz dabei wie: „Aber wir sagen das nicht mit Bestimmt­heit“ oder: „Wir legen damit kein Datum fest“ und: „Wir wissen Tag und Stunde nicht.“ Zu bedenken ist aber, daß die Organisation nicht unerfahren auf diesem Gebiet war. Seit dem Tag ihrer Gründung hatte sie immer wieder Hoffnungen hinsichtlich bestimmter Termine geweckt, die sieh stets zerschlugen, wenn der Zeitpunkt heranrückte. Hinterher versuchte man in den Veröffentlichungen der Gesellschaft, die Schuld an den Fehlschlägen nicht den Verbreitern, sondern den Empfängern der Botschaft zuzuschrei­ben, die eben zuviel erwartet hätten. Die Verantwortlichen in der Organisa­tion hätten nun wirklich sehen müssen, welche Gefahr ihr Vorgehen barg, hätten wissen müssen, wie empfänglich Menschen nun einmal dafür sind, sich in grossartige Hoffnungen hineinzusteigern.

Zwar hüteten sich die leitenden Herren sehr, den Beginn des Millenniums ausdrücklich für ein bestimmtes Jahr vorauszusagen, doch es war ihnen [197] recht, daß in den ZeitschriftenWachturm und Erwachet! Wendungen wie „in verhältnismäßig wenigen Jahren“, „in der unmittelbaren Zukunft“, „in höchstens noch ein paar Jahren“, „nur noch einige wenige Jahre“, „die wenigen letzten Jahre“ im Hinblick auf die Tausendjahrherrschaft gebraucht wurden, und zwar sämtlich im Zusammenhang mit der Jahreszah 1975. Hatten diese Worte irgendeinen Sinn? Oder waren sie absichtlos, unbedacht geäußert worden? Darf man mit den Hoffnungen, den Plänen, den Gefühlen der Menschen leichtfertig umgehen? Zu alledem kommt noch, dass im Wachtturm vom 15. November 1968 sogar zu verstehen gegeben wurde, man solle die zur Vorsicht mahnenden Worte Jesu nicht überbewerten:

„15. November 1963
35 Eines steht fest: Die biblische Chronolo­gie, die durch die Erfüllung biblischer Prophezeiungen bestätigt wird, zeigt, daß 6000 Jahre Menschheitsgeschichte bald, ja noch in unserer Generation, enden werden (Matth. 24:14) Es ist daher jetzt nicht an der Zeit, gleichgültig zu sein und in den Tag hinein­zuleben. Es ist nicht an der Zeit, mit dem Gedanken zu spielen, Jesus habe ja gesagt: „Von jenem Tage und jener Stunde hat niemand Kenntnis, weder die Engel der Himmel noch der Sohn, sondern nur der Vater.“ (Matth. 24:36) Im Gegenteil, wir sollten uns ständig vor Augen halten, daß das gewalt­same Ende des gegenwärtigen Systems der Dinge eilends herannaht. Täuschen wir uns nicht: Es genügt, daß nur der Vater „Tag und Stunde“ kennt!“

Wie könnte ein „treuer und verständiger Sklave“ jemals etwas Derartiges sagen? Das hieß doch im Kern: „Schon recht, mein Herr sagt so und so, aber das braucht ihr nicht so ernst zu nehmen. Im Gegenteil, das was ich sage, soll euch als Richtschnur im Leben dienen.“

9.2.2 Die Watchtower braucht mehr kostenlose Arbeiter, um ihre Umsätze hochzutreiben: Einladung angesichts dem Ende im Jahr 1975 Haus und Hof zu verkaufen!

Einige der eindeutigsten Aussagen kamen aus der Dienstabteilung der Weltzentrale. Dort wird der Königreichsdienst geschrieben, ein monatli­ches Mitteilungsblatt, das nur für die Zeugen und nicht für die Öffentlich­keit bestimmt ist. In der Ausgabe vom April 1968 wurde dazu angespornt, den Vollzeitpredigtdienst („Pionierdienst“) zu ergreifen:

„In Anbetracht der kurzen verbleibenden Zeit möchten wir dies so oft tun, wie es die Umstände erlauben. Bedenkt, liebe Brüder, daß nur noch ungefähr 90 Monate verbleiben, bis 6000 Jahre der Existenz des Men­schen hier auf Erden voll sind.“ [198]

In der US-Ausgabe des Königreichsdienstes für Mai 1974 hieß es, nachdem auf die „kurze verbleibende Zeit“ verwiesen worden war:

„Es gehen Berichte über Brüder ein, die Haus und Habe verkaufen, um die restliche Zeit in diesem alten System im Pionierdienst zu verbringen. Bestimmt ist dies eine vorzügliche Art und Weise, die kurze Zeit, die bis zum Ende der verderbten Welt noch bleibt, zu verbringen (1. Joh. 2:17).“

Nicht wenige Zeugen handelten so. Sie verkauften ihr Geschäft, gaben ihren Arbeitsplatz auf, verkauften Haus und Hof und zogen in andere Gegenden, in „Gebiete, wo Hilfe dringender benötigt“ wurde, wobei sie sich ausrechne­ten, daß ihr Geld ja bis 1975 reichen würde.

Andere, darunter altere Leute, liegen sich ihre Versicherungen auszahlen und verkauften Wertpapiere. Manche schoben Operationen auf, weil sie hofften, mit dem Kommen des Millenniums erübrigten sich diese.

Als 1975 verstrichen und das Geld verbraucht oder das Leiden schlimmer geworden war, mußten sie zusehen, wie sie mit der harten Realität fertig wurden, und von vorn anfangen, so gut es eben ging.

9.2.3 Die Statistiken scheinen Präsident Knorr und Fred Franz Recht zu geben: Leichtgläubigkeit ist lernbar

Was tat sich während dieser Zeit in den Köpfen der Männer in der leitenden Körperschaft?

Einige altere Mitglieder des Kollegiums hatten die Enttäuschungen der Jahre 1914 und 1925 selbst miterlebt. ebenso daß Anfang der vierziger Jahre große Erwartungen geweckt worden waren. Die meisten, so mein Eindruck, nahmen erstmal eine abwartende Haltung ein. Zur Zurückhaltung aufrufen mochten sie nicht, denn eine starke Zunahme war zu verzeichnen, wie die Statistik über die Zahl der Getauften von 1960 bis 1975 zeigt:

Jahr

1960
1961
1962
1963
1964
1965
1966
1967

Getaufte

69 027
63 070
69 649
62 798
68 236
64 393
58 904
74 981

Jahr

1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975

Getaufte

82 842
120 805
164 193
149 808
163 123
193 990
297 872
295 073

Von 1960 bis 1966 war die Steigerungsrate fast Null. Ab dem Jahr 1966 jedoch, nachdem man 1975 zum Thema gemacht hatte, kam es, wie die Tabelle deutlich zeigt, zu einem phänomenalen Wachstumsschub.

Soweit ich mich entsinnen kann, hat sich in den Jahren 1971 bis 1974, während ich Mitglied der leitenden Körperschaft war, niemand aus diesem Personenkreis mit deutlicher Sorge über die hochfliegenden Erwartungen geäußert, die man geweckt hatte. Ich will nicht verhehlen, daß auch ich anfangs sehr bewegt war, als 1966 das Buch Ewiges Leben – in der Freiheit[199] der Söhne Gottes ein strahlendes Bild des nahe bevorstehenden tausendjäh­rigen Jubeljahrs gezeichnet hatte. Noch will ich behaupten, ich hätte zu Anfang nicht ebenfalls einen Anteil an der Kampagne zur Publikmachung des Jahres 1975 gehabt. Doch mit jedem Jahr, das auf 1966 folgte, erschien mir die ganze Vorstellung immer unwirklicher. Je mehr ich in der Bibel las, desto weniger stimmte für mich das Konzept. Es paßte einfach nicht zu dem, was Jesus Christus selbst gesagt hatte, unter anderem zu folgenden Aussprü­chen:

„Von jenem Tag und jener Stunde hat niemand Kenntnis, weder die Engel der Himmel noch der Sohn, sondern nur der Vater.“
„Wacht deshalb beharrlich, weil ihr nicht wißt, an welchem Tag euer Herr kommt.“
„Deswegen erweist auch ihr euch als solche, die bereit sind, denn zu einer Stunde, da ihr es nicht denkt, kommt der Sohn des Menschen.“
„Haltet ständig Ausschau, bleibt wach, denn ihr wißt nicht, wann die bestimmte Zeit da ist.“
„Es ist nicht eure Sache, über die Zeiten oder Zeitabschnitte Kenntnis zu erlangen, die der Vater in seine eigene Rechtsgewalt gesetzt hat.“[3]

Allerdings konnte man kaum etwas machen, wenn man in der Weltzentrale einer Organisation tätig war, die vor Freude über den gewaltigen Erfolg fast überschäumte. Ich konnte zwar einige Artikel, die ich zu bearbeiten hatte, im Ton etwas zu mässigen versuchen, aber das war auch schon alles. Nur im privaten Rahmen, in Vorträgen und Gesprächen, bemühte ich mich, auf die oben zitierten Schriftstellen zu verweisen.

Eines Sonntags im Jahr 1974 kam mein Onkel, damals Vizepräsident, abends in unser Zimmer, nachdem meine Frau und ich von einer Vortrags­verpflichtung aus einem anderen Teil des Landes zurückgekehrt waren. (Da sein Augenlicht extrem schwach war, lasen wir ihm jede Woche die Wachtturm-Studienartikel laut vor.) Meine Frau erwähnte, daß ich in meinem Vortrag an dem Wochenende die Brüder davor gewarnt hatte, ihre Erwartungen für 1975 zu hoch zu schrauben. Spontan erwiderte er: „Ja, warum sollten sie denn keine großen Erwartungen haben? Das muß einen doch begeistern!“

Für mich steht außer Zweifel, daß in der ganzen leitenden Körperschaft der Vizepräsident von der Richtigkeit dessen, was er geschrieben hatte (und worauf andere sich verlassen hatten), am festesten überzeugt war. An einem anderen Abend, im Sommer 1975, beteiligte sich ein älterer griechischstäm­miger Bruder namens Peterson (ursprünglich Papagyropoulos) wie sonst auch an unserem Vorlesen. Hinterher sagte mein Onkel zu ihm: „Weißt du, 1914 war es ganz ähnlich. Bis in den Sommer hinein war alles ruhig. Dann, auf einmal, ging es los, und der Krieg brach aus.“

9.2.4 1975: „Ein Jahr gewaltiger Möglichkeiten, übergrosser Wahrscheinlichkeiten“

Zuvor, etwa Anfang 1975, hatte Präsident Knorr eine Reise um die Welt gemacht. Vizepräsident Franz hatte ihn begleitet und in allen seinen [200] Ansprachen in den verschiedenen Ländern das Jahr 1975 zum Hauptthema gemacht. Nach ihrer Rückkehr wollten die anderen Mitglieder der leitenden Körperschaft, denen aus vielen Ländern von der aufwühlenden Wirkung des Vortrags berichtet worden war, einen Tonbandmitschnitt davon hören, der in Australien angefertigt worden war.[4]

Der Vizepräsident bezeichnete in seinem Vortrag 1975 als „ein Jahr gewalti­ger Möglichkeiten, übergroßer Wahrscheinlichkeiten“. Er sagte seinen Zuhörern, sie befänden sich nach dem jüdischen Kalender „bereits im 5. Mondmonat des Jahres 1975“, und es verblieben nur noch weniger als sieben Mondmonate. Mehrmals hob er hervor, daß das jüdische Jahr mit Rasch ha Schana, dem jüdischen Neujahrsfest, am 5. September 1975 zum Abschluß komme.

Er gab zu, daß sehr viel geschehen müßte in so kurzer Zeit, sollte bis dahin der endgültige Abschluß kommen, fügte dann aber hinzu, daß es auch rund ein Jahr länger dauern könne, weil zwischen Adams und Evas Erschaffung vielleicht noch etwas Zeit verstrichen sei. Er ging auf die enttäuschten Erwartungen von 1914 und 1925 ein und zitierte die Worte Rutherfords: „lch habe mich lächerlich gemacht.“ Die Organisation habe gelernt, fuhr er fort, keine „gewagten, detaillierten Voraussagen“ zu machen. Am Schluß appellierte er an seine Zuhörer, andererseits auch keine unangemessene Einstellung zu entwickeln und zu meinen, bis zur bevorstehenden Vernich­tung könne es „noch Jahre dauern“, und viel Energie darauf zu verwenden, eine Familie zu gründen, ein florierendes Geschäft aufzubauen oder viel­leicht an einer Hochschule eine mehrjährige Ingenieurausbildung zu absol­vieren.

Nachdem die leitende Körperschaft sich das Band angehört hatte, gab es besorgte Stimmen, hier seien, wenn auch keine „gewagten, detaillierten Voraussagen“, so doch immerhin gewisse Voraussagen gemacht worden, und die daraus entstandene Aufregung zeige klar, wozu das führe.

Damit war zum ersten Mal auf einer Sitzung der leitenden Körperschaft Besorgnis geäußert worden. Unternommen wurde aber gar nichts. Der Vizepräsident wiederholte viele Punkte aus seinem Vortrag bei der nächsten Abschlußfeier der Gileadschule, am 2. März 1975.[5]

9.3 Die Unglaubwürdigkeit einer weltweiten Organisation so offen wie noch nie zuvor
9.3.1 Erneut verging das Jahr 1975 mit unerfüllten Hoffnungen und abgrundtiefer Enttäuschung für viele!

Das Jahr 1975 ging vorüber, genau wie 1881, 1914, 1918, 1920, 1925 und die vierziger Jahre. In der Öffentlichkeit wurde von anderer Seite viel darüber gesagt und geschrieben, wie die Erwartungen der Organisation in Verbin­dung mit 1975 unerfüllt geblieben waren. Auch in den Reihen der Zeugen Jehovas wurde viel darüber gesprochen. Meines Erachtens ist dabei aber der eigentliche Kern des Problems fast nie zur Sprache gekommen. Meiner Meinung nach ging es um weit mehr als um die gewissenhafte oder schlampige Arbeitsweise eines einzelnen Menschen oder auch um die Vertrauenswürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit einer Organisation, beziehungsweise [201] die Denkfähigkeit oder Leichtgläubigkeit ihrer Mitglieder. Was hier eigentlich am schwersten wog, so meine ich, waren das Ansehen Gottes und seines Wortes. Welche Folgen hat es, wenn Menschen derartige Voraussagen machen und behaupten, sie täten dies auf biblischer Grund­lage, wenn sie Beweisführungen mit Texten aus der Bibel untermauern, wenn sie gar vorgeben, Gottes „Mitteilungskanal“ zu sein – und sich dann ihre Voraussagen als falsch herausstellen? Wird Gott dadurch geehrt, oder stärkt es den Glauben an ihn und an die Zuverlässigkeit seines Wortes? Oder ist nicht genau das Gegenteil der Fall? Sehen sich nicht manche Leute einmal mehr gerechtfertigt, die Botschaft der Bibel und ihre Lehren gering zu achten? Diejenigen unter den Zeugen, die einschneidende Änderungen in ihrem Leben vorgenommen hatten, konnten sich in den meisten Fällen wieder fangen und weiterleben. auch wenn ihre Hoffnungen sich zerschla­gen hatten. Das konnten aber nicht alle. In jedem Fall jedoch war der angerichtete Schaden verheerend.

Im Jahr 1976, ein Jahr, nachdem das weithin ausposaunte Datum verstrichen war, fingen einzelne Mitglieder der leitenden Körperschaft an, darauf zu drängen, man solle durch irgendeine Verlautbarung eingestehen, daß die Organisation sich geirrt und falsche Erwartungen geweckt habe. Andere meinten, das sollten wir nicht tun, da es „nur den Gegnern Munition liefern“ würde. Milton Henschel hielt es für das Ratsamste, die Sache einfach totzuschweigen; nach einiger Zeit würden dann auch die Brüder nicht mehr davon reden. Für ein Votum zugunsten einer Eingeständniser­klärung fehlte eindeutig die Mehrheit. Ein Artikel im Wachtturm vom 15. Oktober jenes Jahres bezog sich zwar auf enttäuschte Erwartungen, doch mußte er die Stimmungslage innerhalb der leitenden Körperschaft wider­spiegeln, so daß kein klares Eingeständnis der Verantwortung der Organisa­tion möglich war.

Im Jahr 1977 kam das Thema wieder zur Sprache. Zwar wurden diesmal von neuem dieselben Argumente vorgetragen, doch nun wurde ein Antrag angenommen, demzufolge in eine Kongreßansprache eine Stellungnahme eingearbeitet werden solle. Ich bin überzeugt, daß Ted Jaracz und Milton Hcnschcl hinterher mit Lloyd Barry, der die Ansprache ausarbeiten sollte, geredet und ihm gesagt haben, wie sie darüber dachten, Wie dem auch sei, als der Vortrag fertig vorlag, war darin von 1975 keine Rede, Ich weiß noch, wie ich Lloyd daraufhin ansprach und er erwiderte, er habe das einfach nicht in seinen Stoff einarbeiten können. Fast zwei Jahre später, im Jahr 1979, nahm sich die leitende Körperschaft des Themas noch einmal an. Mittler­weile war offenkundig geworden, daß es wegen 1975 eine gewaltige Glaub­würdigkeitslücke gegeben hatte.

9.3.2 Das Watergate der Zeugen Jehovas; der Mühlstein am Hals der leitenden Körperschaft!

In diese Richtung zielten Äußerungen zahlreicher Mitarbeiter in der Welt­zentrale. Einer beschrieb 1975 als einen „Mühlstein“, der uns um den Hals hänge. Robert Wallen, einer der Sekretäre der leitenden Körperschaft, schrieb: [202]

„Seit 39 Jahren bin ich getaufter Zeuge Jehovas, und ich werde mit Jehovas Hilfe auch weiterhin treu dienen. Ich wäre aber unehrlich, wollte ich behaupten, ich sei nicht enttäuscht. Denn wenn ich weiß, daß meine Gedanken über 1975 durch das hervorgerufen wurden, was ich in den Veröffentlichungen las, und mir dann letzten Endes gesagt wird, ich selbst hätte falsche Schlüsse gezogen, dann ist das meiner Ansicht nach weder anständig noch ehrlich. Wenn wir doch wissen, daß wir keine Unfehlbarkeit haben, dann ist es meines Erachtens nur angemessen, daß Fehler, die unvollkommene, doch gottesfürchtige Menschen gemacht haben, auch berichtigt werden.“

Raymond Richardson, Schreibabteilung:

„Fühlen sich die Menschen nicht durch Demut angezogen und haben eher Vertrauen, wenn jemand offen und ehrlich ist? Die Bibel selbst gibt das beste Beispiel für Offenheit. Das ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb wir sie für wahr halten.“

Fred Rusk, ebenfalls Schreibabteilung:

„Wenn den Brüdern auch vielleicht ein paar mahnende Worte mit auf den Weg gegeben wurden, sie sollten nicht sagen, Harmagedon käme 1975, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die Zeitschriften und die anderen Veröffentlichungen etliche Artikel enthielten, in denen mehr als nur angedeutet wurde, daß das alte System in der Mitte der siebziger Jahre durch Jehovas neues System ersetzt werden würde.“

Merton Campbell. Dienstabteilung:

„Neulich rief eine Schwester aus Massachusetts von ihrer Arbeitsstelle aus an. Sie und ihr Mann arbeiten, weil sie krank waren und jetzt die sich anhäufenden Arztrechnungen begleichen müssen. Sie sagte, sie seien so zuversichtlich gewesen, 1975 käme das Ende, so daß sie jetzt Mühe hätten, mit der Last dieses alten Systems fertig zu werden. Dieser Fall ist typisch; ähnliches hören wir von vielen Brüdern, mit denen wir zu tun haben.“

Harold Jackson, gleichfalls Dienstabteilung:

„Was wir jetzt brauchen, ist nicht eine Verlautbarung darüber, daß wir uns wegen 1975 geirrt haben, sondern eine Erklärung, weshalb wir so lange geschwiegen haben, wo doch das Leben so vieler Menschen davon betroffen war. Wir sehen uns inzwischen einem Vertrauensschwund gegenüber, und das kann verhängnisvoll werden. Wenn wir uns überhaupt äußern, dann ohne Umschweife, offen und ehrlich gegenüber den Brüdern.“

Howard Zenke, dieselbe Abteilung:

„Wir wollen doch auf keinen Fall, daß die Brüder etwas lesen oder hören und sich dann sagen, daß unser Vorgehen dem bei einem ,Watergate‘ gleichkommt.“

Andere Kommentare lauteten ähnlich. Ironischerweise hatten manche, die jetzt am schärfsten kritisierten, vor 1975 am lautesten von diesem Jahr gesprochen und die „äußerste Dringlichkeit der Zeit“ betont, ja sogar einige der bereits zitierten Artikel verfaßt oder den Abschnitt im Königreichsdienst genehmigt, in dem alle gelobt wurden, die beim Herannahen von 1975 Haus und Habe verkauften. Viele der dogmatischsten Äußerungen [203] über 1975 stammten von reisenden Beauftragten der Gesellschaft (Kreis ­und Bezirksaufseher), die sämtlich der Dienstabteilung unmittelbar unter­standen.

9.3.3 Kein Eingeständnis nötig! Um sich nicht der Kritik auszusetzen geht man zur Tagesordnung über. Erst die negative Statistiken rufen zur Einsicht!

In der Sitzung der leitenden Körperschaft am 6. März 1979 wurden erneut dieselben Argumente gegen die Veröffentlichung jeglicher Stellungnahme vorgetragen: die Organisation setze sich damit nur weiterer Kritik von Gegnern aus; nach dem Ablauf von so viel Zeit sei ohnehin keine Entschul­digung mehr nötig; damit erreiche man in Wirklichkeit sowieso nichts. Doch diesmal wurden die Argumente weniger unerbittlich vorgetragen als vorher, Besonders ein Umstand trug dazu bei: Seit zwei Jahren zeigte die Statistik weltweit schwere Rückschläge an.

Das kommt in den Jahresberichten über die Gesamtzahl der im Zeugnis­werk Aktiven zum Ausdruck:

Jahr

1970
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977

Gesamtzahl der Berichtenden

1 384 782
1 510 245
1 596 442
1 656 673
1 880 713
2 062 449
2 138 537
2 117 194

Prozent Zunahme gegenüber Vorjahr

10,2
9,1
5,7
3,8
13,5
9,7
3,7
-1,0

Dieser Rückgang schien mehr als alles andere Eindruck auf die Mitglieder der leitenden Körperschaft zu machen: Mit 15 gegen 3 Stimmen wurde beschlossen, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, in der wenigstens andeutungsweise eingeräumt wird, daß die Organisation für den Irrtum mitverantwortlich ist. Sie erschien im Wachtturm vom 15. Juni 1980.

Fast vier Jahre hatte die Organisation gebraucht, um durch ihre ausführen­den Organe einzugestehen, daß sie falsch gehandelt und ein volles Jahrzehnt hindurch falsche Erwartungen geweckt hatte. So offen allerdings konnte das in der Verlautbarung nicht gesagt werden, auch wenn es die Wahrheit war. Jeder Entwurf mußte für die Körperschaft als Ganzes akzeptabel sein, damit er gedruckt werden konnte. Ich weiß das, denn mir wurde aufgetragen, die Stellungnahme abzufassen. Wie schon so oft vorher durfte ich mich nicht davon leiten lassen, was mir am Herzen lag oder was meiner Meinung nach die Brüder hören sollten, sondern allein davon, was die Zustimmung von zwei Dritteln der leitenden Körperschaft finden würde.

Heute wird dieses ganze jahrzehntelange Schüren von Erwartungen über 1975 als unbedeutend abgetan. Wiederum handelte die Organisation nach [204] der Maxime Russells von 1916: „Der Gedanke … übte zweifellos einen anspornenden und heiligenden Einfluß auf Tausende aus, von denen demge­mäß alle den Herrn preisen können selbst um des Fehlers willen.“

9.4 1914 und „diese Generation“ *
9.4.1 Das Unbehagen betreffend unerfüllter Prophetie steigert sich von Jahr zu Jahr!

„Denn das Lager hat sich als zu kurz erwiesen, um sich darauf auszustrecken, und das gewebte Laken ist zu schmal, wenn man sich einwickelt“ (Jesaja 28:20).

In der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas herrscht ein beträchtliches Unbehagen über die letzte verbleibende wichtige Zeitprophezeiung. Der zeitliche Rahmen, der zur Erfüllung dieser Prophezeiung zur Verfügung steht, wird immer knapper, wenn die vorausgesagten Ereignisse alle eintref­fen sollen. Mit jedem Jahr, das vergeht, verstärkt sich dieses Unbehagen noch.

Das Jahr 1914, über drei Jahrzehnte hinweg das Enddatum in den Voraussa­gen der Organisation, ist nun der Standpunkt jener Prophezeiung, die den Hauptantrieb für die „Dringlichkeit“ der Tätigkeit der Zeugen Jehovas ausmacht. Von jenem Jahr an sollen die Worte Jesu Christi ihre Anwendung gefunden haben: „Wahrlich, ich sage euch, daß diese Generation auf keinen Fall vergehen wird, bis alle diese Dinge geschehen.“ Man beachte die im folgenden Zitat unterstrichenen Gedanken:

Jesus sprach offensichtlich von Personen die alt genug waren, um das, was sich beim Beginn der “letzten Tage” ereignete, mit Verständnis zu verfolgen. Jesus sagte, daß einige der Per­sonen, die lebten, als das .Zeichen der letzten Tage“ in Erscheinung trat, noch leben wür­den, wenn Gott dieses böse System vernichten würde.

Wenn wir annehmen, fünfzehnjährige Jugendliche genügend Verständnis hatten, um die Bedeutung dessen zu begreifen, was 1914 geschah, wären die jüngsten „dieser Generation“ heute ungefähr siebzig Jahre alt. Die meisten der Generation, von der Jesus sprach, sind somit bereits gestorben. Die anderen, die noch leben, nähern sich dem Grei­senalter. Und man denke daran, daß Jesus sagte, für diese böse Welt werde das Ende kommen, ehe alle, die zu dieser Generation gehören, gestorben seien. Das allein zeigt schon, daß es bis zu dem vorhergesagten Ende nicht mehr viele Jahre sein können. [205]

Als dies in der Zeitschrift Erwachet! vom 8. April 1969 (Seiten 13, 14) erschien, also vor 1975, lag die Betonung darauf, wie schnell die Generation von 1914 auslief, wie wenig Zeit dieser Generation noch verblieb. Jedem Zeugen Jehovas, der damals die Ansicht vertreten hätte, alles könne noch zwanzig oder dreißig Jahre so weitergehen, wäre dies als Zeichen einer schlechten Einstellung, als Mangel an starkem Glauben ausgelegt worden, Der Akzent verschob sich, sobald 1975 vorbei war. Jetzt bemühte man sich zu zeigen, daß die Lebensdauer der Generation von 1914 doch nicht so kurz war, wie man meinen könnte, und daß sie noch recht lange währen könne. So war im Wachtturm vom 1. Januar 1979 nicht mehr von denen die Rede, die das Geschehen im Jahr 1914 „mit Verständnis verfolgen“ konnten, sondern von denen, die die Ereignisse damals „beobachten konnten“. Einfaches Sehen ist etwas anderes als Verstehen. Damit ließ sich logischer­weise auch die Altersuntergrenze der Angehörigen „dieser Generation“ herabsetzen.

9.4.2 Erneutes Umerklären, was jene Generation sei, die alle Zeichen sehen würde

Auf derselben Linie lag es, als zwei Jahre später, im Wachtturm vom 15. Januar 1981, ein Artikel aus der Zeitschrift U. S. News & World Report zitiert wurde, in dem es hieß, daß das Alter von zehn Jahren „das Alter ist, in dem man anfängt, Ereignisse im Gedächtnis zu bewahren“. Wenn das zutreffe, las man weiter in dem Artikel, „dann leben heute noch mehr als 13 Millionen Amerikaner, die sich an den Ersten Weltkrieg erinnern können“. Für „Erinnern“ genügt ebenfalls bereits ein geringeres Alter als für „Ver­ständnis“ (das im oben zitierten Erwachet! von 1969 auf „fünfzehnjährige Jugendliche“ angesetzt wird). In Wahrheit dauerte der 1. Weltkrieg bis 1918, wobei die USA erst 1917 in die Kampfhandlungen eintraten. Es ist also gar nicht gesagt, daß sich das in dem Nachrichtenmagazin genannte Alter von zehn Jahren überhaupt auf 1914 bezog.

Durch unterschiedliche Berechnungsansätze kann man zwar hier und da noch ein Jahr herausschinden, doch ändert das nichts daran, daß die Generation der Zeit um 1914 im Aussterben begriffen ist. Unter alten Leuten ist die Sterblichkeit nun einmal am größten. Dessen war sich die leitende Körperschaft auch bewußt, denn das Thema wurde in ihren Sitzungen mehrfach behandelt.

So kam der ganze Komplex in der Sitzung am 7. Juni 1978 zur Sprache, Die Vorgeschichte war folgende: Albert Schroeder hatte an die anderen Mitglie­der eine Bevölkerungsstatistik der USA verteilt, aus der hervorging, daß im Jahr 1978 nur noch weniger als ein Prozent derjenigen Menschen lebten, die 1914 zwanzig Jahre und älter waren. Der Hauptgrund, der zur Behandlung des Themas geführt hatte, war aber ein anderer.

Der Zentrale in Brooklyn war zu Ohren gekommen, daß Schroeder wahrend seiner Besuche in mehreren europäischen Ländern die Ansicht vertreten hatte, der Ausdruck „diese Generation“, den Jesus in Matthaus. Kapitel 24, Vers 34, gebrauchte, beziehe sich auf die Generation der „Gesalbten“, und diese sei so lange nicht vergangen, wie noch einige aus dieser „Generation“ am Leben seien. Dies stand natürlich im Widerspruch zur Lehre der [206] Organisation und war nicht von der leitenden Körperschaft gebilligt worden.

Als nach Schroeders Rückkehr die Angelegenheit zur Sprache kam, wurde seine Deutung zurückgewiesen. Man beschloß, in einer der nächsten Wachtturm-Ausgaben eine „Frage von Lesern“ einzurücken, in der die gängige Lehrmeinung über „diese Generation“ ausdrücklich bestätigt wurde.[6] Bemerkenswert ist, daß Schroeder in keiner Form dafür getadelt oder zurechtgewiesen wurde, daß er bei seinem Aufenthalt in Europa eine nicht genehmigte abweichende Auffassung vorgetragen hatte.

9.4.3 Die Dokumentation von Jonsson betreffend der falschen Chronologie war der ganzen leitenden Körperschaft vorgelegen! Kenntnis eines Irrtums macht den Vertreter zum Lügner! Das Jahr 607 v.u.Z. hat keinerlei historische Grundlage!

Während der Sitzungen am 6. März und 14. November 1979 stand das Thema wiederum auf der Tagesordnung. Da die Frage immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückte, fotokopierte ich die ersten 20 Seiten der Abhandlung eines Ältesten aus Schweden, worin die Geschichte der Spekula­tionen zur Chronologie detailliert wiedergegeben und die eigentliche Quelle der 2520-Jahr-Berechnung und des Endzeit-Termins 1914 enthüllt wurde. Jedes Mitglied des Gremiums erhielt eine Kopie, doch abgesehen von einem beiläufigen Kommentar hielt keiner es für angebracht, über den Stoff zu sprechen.

Der Leiter der Schreibabteilung, Lyman Swingle, kannte diese Unterlagen bereits. Er wies die anderen auf einige dogmatische, eindringliche Passagen in Wachtturm-Ausgaben des Jahres 1922 hin, wobei er einzelne Absätze laut vorlas. Er sagte, er sei 1914 zu jung gewesen, um sich noch an viel zu erinnern (damals war er gerade vier Jahre alt), doch die Diskussionen über das Jahr 1925 in seinem Elternhaus seien ihm fest im Gedächtnis haften geblieben.[7] Und er wisse auch, was 1975 los gewesen sei. Noch einmal wolle er mit einem Datum nicht getäuscht werden.

Ich verwies in dieser Sitzung darauf, daß das Basisdatum der Gesellschaft, das Jahr 607 v. u. Z., keinerlei historische Grundlage habe. Hinsichtlich 1914 und der damals lebenden Generation fragte ich, wie wir die Worte, die Jesus im Zusammenhang damit sprach, auf die Leute anwenden sollten, die 1914 lebten. Sie lauteten: „Erkennt auch ihr, wenn ihr alle diese Dinge seht, daß er nahe an den Türen ist“, und: „Wenn aber diese Dinge zu geschehen anfangen, dann richtet euch auf und hebt eure Häupter empor, denn eure Befreiung naht“. In den Veröffentlichungen hieß es doch immer wieder, diese Worte hätten von 1914 an ihre Erfüllung gefunden, und zwar auf Christen, die 1914 am Leben gewesen seien. Wer unter ihnen kann aber damit überhaupt gemeint gewesen sein? Solche, die damals 50 Jahre alt waren? Die wären heute (d. h. 1979, zum Zeitpunkt der Debatte) 115. Soll­ten nur die höchstens Vierzigjährigen gemeint sein? Sie wären nun 105. Und die Dreißigjährigen 95. Selbst ein Zwanzigigjähriger von damals wäre [207] 1979 schon 88 Jahre alt gewesen. (Inzwischen wäre er über 100, falls er noch am Leben ist.)

Wenn also jene aufrüttelnden Worte „hebt eure Häupter empor, denn eure Befreiung naht, sie steht vor der Tür“, den Menschen aus dem Jahre 1914 galten und bedeuteten, sie konnten hoffen, das Ende zu erleben, so müßte diese bewegende Ankündigung logischerweise eingeschränkt werden:

„Jawohl, ihr könnt das miterleben, vorausgesetzt allerdings, ihr seid noch jung und habt ein sehr langes Leben.“ Als Beispiel verwies ich auf meinen Vater, der – Jahrgang 1891 – im Jahr 1914 gerade ein junger Mann von 23 Jahren war. Er erreichte das hohe Alter von 86 Jahren und war schon zwei Jahre tot. Die Erfüllung der Voraussagen hatte er nicht erlebt.

So fragte ich, wie sinnvoll es sei, Jesu Worte in Matthaus 24, Verse 33 und 34, auf das Jahr 1914 anzuwenden, wenn nur Kinder und Jugendliche hören konnten, deren Erfüllung zu erleben. Keiner ging direkt darauf ein.

9.4.4 Statt Einsicht und Abkehr von der Lüge Verhärtung und Suche nach weiteren Ausflüchten, wie die Umschreibung „gegenwärtige Wahrheit“

Einige allerdings bekräftigten die geltende Lehre der Organisation über „diese Generation“ und das Jahr 1914. Lloyd Barry zeigte sich bekümmert darüber, daß über diese Lehre innerhalb des Kollegiums Zweifel beständen. Zu den Textpassagen aus den Wachtturm-Ausgaben von 1922, die Lyman Swingle vorgelesen hatte, sagte er, er könne darin nichts Anstößiges entdecken; das sei die „gegenwärtige Wahrheit“ für die Brüder damals gewesen.[8] Über das Alter der Generation von 1914 meinte er, in einigen Teilen der Sowjetunion würden die Leute 130 Jahre alt. Er drängte darauf, gegenüber den Brüdern eine einheitliche Position zu beziehen, damit sie weiterhin die Dringlichkeit der Zeit sähen. Andere äußerten sich ähnlich. Als mir das Wort erteilt wurde, entgegnete ich, man müsse doch wohl im Sinn behalten, daß das, was heute als „gegenwärtige Wahrheit“ gelehrt werde, im Laufe der Zeit“ vergangene Wahrheit“ werden könne, und daß die „gegenwärtige Wahrheit“, die dann deren Platz einnehme, ihrerseits wie­derum durch „zukünftige Wahrheit“ ersetzt werden könne. Wenn man den Begriff der Wahrheit derart strapaziere, so schloß ich, werde er schlicht sinnlos.

9.5 Wer weiß, dass etwas irrig ist und nicht nach Wahrheit wie nach Gold und Silber gräbt, der macht sich der bewussten Lüge schuldig
9.5.1 Auftragserteilung Seitens der leitenden Körperschaft zur Suche nach der Wahrheit betreffend 1914 abgelehnt!

Wenn unsere heutige Deutung nicht stimme, wurde darauf erwidert, wie sollten Jesu Worte dann zu verstehen sein? Als der offensichtlich Angespro­chene antwortete ich, nach meiner Meinung gebe es eine Erklärung, die sowohl mit der Schrift als auch mit den Tatsachen übereinstimme. Bevor man aber etwas darüber sage, müsse alles sorgfältig erforscht und abgewo­gen werden. Ich sagte, ich könnte mir vorstellen, daß es Brüder gebe, die für diese Arbeit befähigt seien, doch sie benötigten einen Auftrag von der leitenden Körperschaft, um ans Werk zu gehen. Ich fragte, ob die leitende Körperschaft diesen Auftrag erteilen wolle. Es kam keine Antwort. Damit war die Sache erledigt.

Am Schlug vertraten alle Mitglieder des Gremiums bis auf wenige Ausnahmen [208] die Meinung, das Jahr 1914 und die damit verbundene Lehre über „diese Generation“ solle weiterhin hervorgehoben werden. Der Koordina­tor des Schreibkomitees, Lyman Swingle, sagte dazu: „Also gut, wenn ihr das so wollt. Aber zumindest wißt ihr, daß Jehovas Zeugen das Jahr 1914 von den Adventisten übernommen haben – und zwar mit allem Drum und Dran!“

Was mich vielleicht am meisten beunruhigte, war das Bewußtsein, daß die Organisation einerseits von den Brüdern nachdrücklich verlangte, felsen­fest an ihre Interpretationen zu glauben, während andererseits zugleich Männer in leitender Stellung bekannten, daß sie selber den Voraussagen im Zusammenhang mit dem Jahr 1914 kein volles Vertrauen schenkten.

9.5.2 Präsident Knorr erklärt seine Unsicherheit betreffend 1914 unumwunden: Jeder andere wird als „Abtrünniger“ ausgeschlossen!

Ein vielsagendes Beispiel hierfür bot sich in der Sitzung vom 19. Februar 1975, in der die Tonbandaufnahme des Vortrags von Fred Franz über 1975 vorgespielt wurde. Hinterher entspann sich eine Diskussion um die Unge­wißheit von Zeitprophezeiungen. Der damalige Präsident, Nathan Knorr, meldete sich dabei mit folgendem Beitrag zu Wort:

„Bei manchen Dingen bin ich mir sicher: Ich weiß, daß Jehova unser Gott ist, daß Christus Jesus sein Sohn ist, dass Jesus sein Leben als ein Lösegeld für uns gab, daß es eine Auferstehung gibt. Bei anderen Dingen bin ich mir nicht so sicher. Zum Beispiel bei 1914. Davon reden wir schon sehr lange. Es mag sein, daß wir recht haben. Ich will es hoffen.“[9]

Bei dieser Sitzung ging es um das Jahr 1975; daher überraschte es, daß in dem Zusammenhang das viel grundlegendere Jahr 1914 angeschnitten wurde. Wie bereits gesagt, äußerte sich der Präsident während einer offiziellen Sitzung vor allen Mitgliedern der leitenden Körperschaft und nicht in einer privaten Unterhaltung.

Noch vor der großen Debatte über 1914 (in der Vollsitzung am 14. Novem­ber 1979) hatte das Schreibkomitee besprochen, ob es ratsam sei, das Jahr 1914 weiterhin so herauszustellen.[10] Es wurde vorgeschlagen, wir sollten wenigstens nicht mehr so auf dem Datum „herumreiten“. Soweit ich mich entsinne, war es Karl Klein, der uns an die bisweilen übliche Methode erinnerte, eine bestimmte Lehre einfach eine Zeitlang nicht mehr zu erwähnen; dann erregt es nicht so großes Aufsehen, wenn eine Änderung kommt.

Es ist beachtlich, daß das Schreibkomitee einstimmig beschloß, in bezug auf 1914 im wesentlichen genau nach diesem Muster zu verfahren. Der Beschluß hatte allerdings keinen langen Bestand, da in der Vollsitzung der leitenden Körperschaft am 14. November 1979 klar wurde, daß die Mehrheit das Datum weiter wie gehabt betont sehen wollte. [209]

Daß die Zweifel an dieser Lehre nicht nur auf Brooklyn beschränkt waren, zeigte ein Vorfall während meiner Reise nach Westafrika im Herbst 1979. In Nigeria fuhr ich mit zwei Mitgliedern des Zweigkomitees und einem langgedienten Missionar zur Besichtigung eines Grundstücks, das die Gesellschaft für den Bau eines neuen Zweigbüros erworben hatte. Auf der Rückfahrt fragte ich sie, für wann sie mit dem Umzug in das neue Gebäude rechneten. Sie erwiderten, es könne wegen der umfangreichen Vorarbeiten, dem Räumen des Geländes, dem Einholen der Baugenehmigung und schließlich wegen des Bauens selbst gut und gern 1983 werden, bis das so weit sei.

Das veranlaßte mich, sie zu fragen: „Stellen die Brüder im Lande eigentlich Fragen wegen der Länge der Zeit, die seit 1914 verstrichen ist?“ Einen Augenblick war Stille. Dann sagte der Zweigkoordinator: „Nein, die nige­rianischen Brüder stellen solche Fragen selten. Aber WIR tun das.“ Und sogleich fiel der langgediente Missionar ein: „Bruder Franz, könnte es sein, daß Jesus mit ,dieser Generation‘ nur die Menschen damals meinte, die die Zerstörung Jerusalems miterlebten? In dem Fall würde alles zusammen­passen.“

Ganz offensichtlich paßte für ihn bei der derzeitigen Lehre nicht alles zusammen. Ich erwiderte bloß, das sei wohl eine Möglichkeit, doch sonst könne man weiter nichts darüber sagen. Nach meiner Rückkehr erzählte ich in der leitenden Körperschaft von diesem Gespräch, denn es schien mir ein Indiz dafür, daß es weltweit Zweifel gab, und das bei geachteten Männern in verantwortlicher Position. Was mir in Nigeria gesagt wurde und die Art und Weise, wie es gesagt wurde, zeigte, daß es dort interne Diskussionen gegeben hatte, lange bevor ich eingetroffen war.

Kurz nach meiner Rückkehr aus Afrika hob Lloyd Barry (in der Sitzung vom 17. Februar 1980) noch einmal hervor, für wie wichtig er die Lehre über 1914 und „diese Generation“ hielt. Lyman Swingle sagte, daß die Angelegenheit in den Augen der Brüder mit der Leserfrage von 1978 (dt.: 1979) nicht abgetan sei. Albert Schroeder berichtete, in der Gileadschule und in den Schulungskursen für Zweigkomiteemitglieder sei 1984 als neues Datum zu hören, da dann siebzig Jahre seit 1914 verstrichen seien (wobei der Zahl siebzig offenbar besondere Bedeutung beigemessen wurde). Das Gremium beschloß, die Sache in der nächsten Sitzung weiter zu behandeln.

9.5.3 Neues Konzept, neue Lüge was „jene Generation“ bedeutet: Sie ab 1957 zu rechnen, ab dem 1.Sputnik und dessen „Himmelserscheinungen“ erhält nicht die Stimmenmehrheit

Dabei legte das Komitee des Vorsitzenden, bestehend aus Albert Schroeder (Vorsitzender), Karl Klein und Grant Suiter, ein höchst ungewöhnliches Dokument auf den Tisch. Jedes Mitglied der leitenden Körperschaft erhielt ein Exemplar. Auf eine Kurzformel gebracht, schlugen die drei vor, der Ausdruck „diese Generation“ solle sich nicht auf Menschen beziehen, die 1914 lebten, sondern erst ab 1957 zählen, also 43 Jahre später!

Und so sah das Dokument, das die drei der leitenden Körperschaft unterbrei­teten, genau aus (Übersetzung des englischen Originals): [210]

„Vorlage für die leitende Körperschaft zur Sitzung am Mittwoch, 5. März 1980

Problem: Was ist „diese Generation“ (genea’) (Mt 24:34; Mk 13:30; Luk 21:32)

TWNT (viele Kommentare) sagt: genea’ „bedeutet meist Zeitgenossenschaft“. Bd.1, S.563.

Die meisten sagen, genea’ bedeute etwas anderes. als genos; genos bedeutet Nachkommenschaft, Volk, Rasse, Siehe TWNT Bd.1, S. 585 (genos in 1 Pe 2:9)

Antwort lässt sich mit der Frage in Mt 24:33 verknüpfen. Was ist gemeint mit „Wenn ihr alle diese Dinge seht“?

Lange’s Commentary (Bd.8) vertritt Ansicht, mit „diese Dinge“ sei nicht 70 u.Z. gemeint, auch nicht die parousie von 1914, sondern die in den Versen 29,30 angesprochenen Himmelserscheinungen, die, wie wir heute erkennen, mit dem Raumfahrtzeitalter 1957 begannen. Demnach wäre es denn die Generation der Menschen, die sei t 1957 am Leben ist.

Drei Abschnitte
Lange ’se Commentary teilt Matthäus 24 in „drei Zyklen“ ein.
1. Zyklus – Matth. 24:1-14
2. Zyklus – Matth. 24:15-28
3. Zyklus – Mattl1. 24:29-44 (synteleia oder Abschluß)
(siehe Bd. 8, S. 421, 424, 427)
Stützt sich darauf, daß auch Frage in Mt 24:3 dreiteilig.
Der Wachtturm und Gottes tausendjähriges Königreich (ka)
Haben neuerdings Matthäus 24 ebenfalls sozusaqen in drei Abschnitte aufgeteilt

(1) Matth. 24:3-22 Hat parallele Erfüllungen im 1. Jahrhundert und heute seit 1914 (Siehe w.75, S. 273, ka S. 205)
(2) Matth. 24:23-28 Zeitabschnitte bis Christi parousie von 1914 hinein (Siehe w75, S. 275)
(3) Matth. 24:29-44 „Himmelserscheinungen“ haben seit Beginn des Raumfahrtszeitalters 1957 buchstäbliche Erfüllung und schließen Christi erkomenon ein (Kommen als Urteilsvollstrecker zu Beginn der „großen Drangsal“. (Siehe w75, p.275,Abs.18; ka S.323-328)

„Alle diese Dinge“ würden sich dann auf die im Text zuletzt genannten Einzel­merkmale des zusammengesetzten Zeichens beziehen, nämlich die Himmelserscheinungen gemäß Versen 29 und 30.

Wenn dies so richtig ist:
Dann würde sich “diese Generation“ auf heute lebende Menschen beziehen, die im Jahr 1957 in einem verständigen Alter waren.

* Im Grundgedanken bestätigt durch C. T. Russell im Berean-Commentary, S. 217:
„genre, Leute, die zur selben Zeit leben und Zeugen der gerade erwähnten Zeichen sind.“ Bd. 4, S. 604.

Komitee des Vorsitzenden 3.3.80″

Im Jahr 1957 wurde der erste russische Sputnik in eine Erdumlaufbahn geschossen. Anscheinend meinte das Vorsitzenden-Komitee, dieses Ereig­nis könne den Beginn der Erfüllung folgender Worte Jesu anzeigen:

“ … wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond wird sein Licht nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden.“[11] [211]

Gestützt auf diese Deutung, lautet die Schlußfolgerung des Komitees:

„Dann würde sich ‚diese Generation‘ auf heute lebende Menschen beziehen, die 1957 in einem verständigen Alter waren.“

Die drei schlugen nicht vor, 1914 fallenzulassen. Das Jahr würde auch weiterhin das „Ende der Zeiten der Nationen“ bedeuten. Doch „diese Generation“ wäre erst von 1957 ab zu rechnen.

Diese neue Deutung des Begriffs könnte angesichts der schnell schwinden­den Zahl der Angehörigen der Generation von 1914 sicher sogar noch günstiger sein als der Hinweis auf Leute in einem bestimmten Teil der Sowjetunion, die 130 Jahre werden sollen. Wenn man 1957 statt 1914 als Ausgangsjahr nimmt, holt man 43 zusätzliche Jahre für die Dauer „dieser Generation“ heraus.

Nach dem Statut der leitenden Körperschaft mußte über jede Empfehlung, die ein Komitee zur Beschlußfassung vorlegt, unter allen Mitgliedern des Komitees vollständige Übereinstimmung bestehen (andernfalls waren die unterschiedlichen Auffassungen dem Gremium zur Klärung vorzutragen). Die drei Mitglieder des Vorsitzenden-Komitees müssen sich also über die Vorlage der neuen Ansicht über 1957 einig gewesen sein.

Würde man sie heute über diese Vorlage befragen, wäre die Antwort wohl: „Das war doch nur als Vorschlag gedacht.“ Das kann sein, doch dann war er ernst gemeint. Und wenn Albert Schroeder, Karl Klein und Grant Suiter der leitenden Körperschaft einen derartigen Vorschlag unterbreiteten, dann müssen sie selbst bereit gewesen sein, diese Veränderung vorzunehmen. Wenn ihr Glaube an die uralte Lehre der Gesellschaft über „diese Genera­tion“ (mit 1914 als Ausgangspunkt) tatsächlich stark und unerschütterlich gewesen wäre, so hätten sie bestimmt nie und nimmer ihre neue Interpreta­tion vorgebracht.

Die leitende Körperschaft akzeptierte die von den drei Mitgliedern vorge­schlagene Auslegung nicht. Wie die Wortmeldungen zeigten, hielten viele sie für verstiegen. Doch ändert das nichts an der Tatsache, daß Schroeder, Klein und Suiter als Glieder der leitenden Körperschaft ihre Vorstellung als ernstgemeinte Beschlußvorlage auf den Tisch gelegt hatten, wodurch sie verrieten, wie wenig sie selbst von der Unangreifbarkeit der bestehenden Lehrmeinung überzeugt waren.

9.5.4 1914 bleibt der Angelpunkt der Lehre der Zeugen Jehovas!

Bis zum heutigen Tage jedoch veröffentlicht die „prophetengleiche“ Orga­nisation selbstsicher markige und eindringliche Abhandlungen über 1914 und „diese Generation“ als biblisch belegte Tatsachen, und alle Zeugen Jehovas werden angehalten, ihr volles Vertrauen darauf zu setzen und diese Botschaft weltweit zu verbreiten. Offenbar, um Besorgnis über die stark abnehmende Zahl der zur Generation von 1914 Gehörenden zu beschwich­tigen, hieß es in demselben Wachturm in dem angedeutet wurde, die Altersgrenze für diese Gruppe könne auf zehn Jahre herabgesetzt werden: [212]

„Und falls das böse System dieser Welt bis zur Jahrhundertwende bestehenbleiben würde ­was aber in Anbetracht der Entwicklung der Welt­verhältnisse und in Anbetracht der Erfüllung biblischer Prophezeiungen höchst unwahrscheinlich ist -, wären immer noch einige von der Generation, die den Ersten Weltkrieg erlebt hat, am Leben.“

Zur Jahrhundertwende werden die Zehnjährigen von 1914 sechsundneunzig Jahre alt sein. Doch einige von ihnen werden wohl noch am Leben sein, und offenbar meinte man, das sei alles, was für die Erfüllung der Worte Jesu nötig sei. Vorausgesetzt ist dabei allerdings die Annahme, Jesus habe seine Worte unmittelbar an zehnjährige Kinder gerichtet.

9.5.5 „Wie man sich bettet, so liegt man“, 1914 erweist sich als zu kurzer Lacken

Was die leitende Körperschaft in Zukunft zu diesem Thema beschließen wird, weiß ich nicht. Sie hat das Jahr 1914 mit neuem Elan groß herausge­stellt, und so, wie sie sich damit gebettet hat, wird sie auch liegen. Doch die Lebensdauer der Generation von 1914 erweist sich als ein Ruhelager. das zu kurz ist, um bequem zu sein, und die Erklärungen und Begründungen, mit denen man das Lehrgebäude bespannen will, sind wie ein gewobenes Laken, das zu schmal ist, um die harte, kalte Wirklichkeit abzuhalten.

Möglich ist natürlich, daß man sich eines Tages genötigt fühlt, etwas zu ändern, doch glaube ich nicht, daß dies geschieht, solange die Statistik weltweit noch wenigstens einen geringen Zuwachs verzeichnet. Ich glaube auch kaum, daß man auf das Jahr 1957 als Beginn „dieser Generation“ zurückgreifen wird, wie Schroeder, Klein und Suiter vorgeschlagen haben. Es bleiben aber noch andere Möglichkeiten. Die leitende Körperschaft könnte die historische Beweislage anerkennen und die Zerstörung Jerusa­lems zwanzig Jahre später stattfinden lassen, als das bisher mit dem Jahr 607 v. u. Z. geschieht. Damit würden die Heidenzeiten (sofern man die 2520­Jahr-Deutung beibehält) um das Jahr 1934 enden. Dem Jahr 1914 ist aber solch gewaltige Bedeutung beigemessen worden und es hängen so viele andere Teile der Lehre damit zusammen, daß dieses Vorgehen auch unwahrscheinlich ist. Als attraktiver könnte sich vielleicht Albert Schroeders Idee herausstellen, den Begriff auf die Klasse der „Gesalbten“ anzuwenden (ein Gedanke, der schon seit vielen Jahren in der Organisation herumspukt). Jedes Jahr gibt es einige – manche darunter recht jung -, die erstmals zu der Überzeugung gelangen, daß sie zu der „gesalbten“ Klasse gehören. So ließe sich die Lehre über „diese Generation“ fast endlos weiter beibehalten.

Genau weiß ich nur, daß ich es unglaublich finde, wie die leitende Körperschaft vorgeht. Für meine Begriffe ist es erschütternd, daß der Welt derartige Zeitprophezeiungen verkündet wurden als etwas, worauf man bauen kann und soll, wonach man sein Leben einrichtet, wenn doch dieselben Leute, die das veröffentlichten, genau wußten, daß in ihren eigenen Reihen nicht alle von der Richtigkeit dieser Lehre felsenfest überzeugt waren. Sicht man diese Haltung vor dem Hintergrund einer [213] jahrzehntelangen Tradition des Festlegens und Umstoßens von Daten, so wird sie vielleicht etwas verständlicher.[12]

Noch empörender erscheint mir aber, daß Albert Schroeder, Karl Klein und Grant Suiter vom Vorsitzenden-Komitee nur zwei Monate, nachdem sie ihre neue Ansicht über „diese Generation“ vorgelegt hatten, unter anderem auch die Annahme oder Ablehnung der Lehre über den Beginn der Gegen­wart Christi im Jahre 1914 als maßgebend dafür ansahen, ob Einzelpersonen (einschließlich Mitarbeiter der Weltzentrale) der Abtrünnigkeit schuldig seien und daher den Ausschluß verdienten. Sie taten dies, obwohl sie sehr genau wußten, daß sie selbst gerade kurz vorher die eng damit verbundene Lehre über „diese Generation“ in Zweifel gezogen hatten. Doch davon soll im nächsten Kapitel die Rede sein. [214]

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[1] Jesaja 5:20.
[2] Im Kommentar zu Kapitel 24:25, 26 heißt es im englischen Original: „Und im Jahr 19I8, wenn Gott die Kirchen … “ (englischer Text siehe Anhang).
[3] In der viertletzten Zeile dieses Zitats heißt es in der englischen Ausgabe nicht: „dürften die drei Jahre darstellen, während welcher …“, sondern: „stellen die drei Jahre von 1917 bis 1920 dar, während welcher …“ (sieheAnhang),
[4] Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, S. 98, 100, 104
[5] 1. Johannes 1:5.
[6] Wacht·Turm Oktober 1922, S. 156.
[7] Wacht-Turm Oktober 1922, S. 157.
[8] Unter ihnen war Alvin Franz, der Bruder meines Vaters und der Jüngste der vier Söhne der Familie Franz.
[9] Einige Jahre nach Herausgabe des Buches im Jahre 1942 wurde das Haus verkauft. Auf einem großen Kongreß der Zeugen Jehovas 1950 im Yankee Stadium in New York hielt Fred Franz eine Ansprache, in der die angekündigte Wiederkehr der „Fürsten“ vor Harmagedon offiziell fallengelassen wurde; dafür sagte man jetzt, die von der Gesellschaft in den Versammlungen ernannten Diener erfüllten diese Fürstenrolle bereits. [1] Der Text ist auch im Wachtturm vom 1. Januar 1970 enthalten.
[2] Es stimmt zwar, daß auf Seite 25 der schwammigere Ausdruck „um die Mitte der 1970er Jahre“ gebraucht wird, doch das Jahr 1975 war bereits als biblisch gegründeter Zeitpunkt eingeführt worden und war als solcher bei allen Zeugen Jehovas weltweit fest im Sinn verankert.
[3] Zitiert nach Matthaus 24:36, 42, 44; Markus 13:33; Apostelgeschichte 1:7.
[4] Das war in der Sitzung vom 19. Februar 1975.
[5] Siehe Wachtturm vom 1. August 1975.
[6] Siehe Wachtturm vom 1.Januar 1979.
[7] Von den derzeitigen Mitgliedern der leitenden Körperschaft waren Karl Klein und Carey Barber im Jahr 1914 gerade 9 Jahre alt, Lyman Swingle 4, Albert Schroeder 3, Jack Barr 1. Lloyd Barry ist Jahrgang 1910, Dan Sydlik, Milton Henschel, Ted Jaracz und Gerrit Loesch wurden erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geboren.
[8] Der Ausdruck „gegenwärtige Wahrheit“ wurde zu Zeiten Russells und Rutherfords viel gebraucht und stützte sich auf eine fehlerhafte Übersetzung von 2. Petrus 1:12 in der Neuen-­Welt-Übersetzung heißt es zutreffender „die Wahrheit …, die in euch vorhanden ist“.
[9] Das scheint bei Präsident Knorr nicht einfach einer Augenblicksstimmung entsprungen zu sein, denn einer seiner engeren Vertrauten, George Couch, vertrat dieselbe Ansicht in genau denselben Worten. Da ich beide näher kannte, erscheint es mir wahrscheinlicher, daß Couch das von Knorr übernommen hatte, als umgekehrt.
[10] Im Schreibkomitee waren damals Lloyd Barry, Fred Franz, Raymond Franz, Karl Klein und Lyman Swingle.
[11] Matthäus 24:29
[12] Im Gegensatz zu dem, was mancherorts behauptet wird, hat die leitende Körperschaft dem Jahr 1914 nie einen großen Wert beigemessen. Die erwähnte Sitzung vom Februar 1980 war nach meiner Erinnerung das einzige Mal, daß dieses Jahr überhaupt erwähnt wurde, und auch das nur in Zusammenhang mit Gerüchten.