Es ist kein guter Tag, dieser achte Tag der Anhörung von Führungspersonal der Zeugen Jehovas vor der australischen Royal Commission, die dem Vorwurf nachgeht, bei der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas würde der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern intern unterdrückt und unter den Teppich gekehrt. So zumindest erscheint es auch nach den vorangegangenen Terminen, bei denen über-wiegend die religiösen Leiter, die sogenannten Ältesten, zu diesem gravierenden Vorwurf befragt wurden.

Heute stellt sich mit Geoffrey Jackson, Mitglied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas, der Anhörung. Er hat die Gelegenheit, zu den entscheidenden Fragen nach den Lehren der Gemeinschaft Stellung zu nehmen. So wie zu der Auffassung, dass einem Vorwurf eines Sexualdelikts nur nachgegangen werde kann, wenn es zwei Zeugen des Vorfalls gibt, was in der Praxis jedoch so gut wie nie der Fall ist und Beschuldigte deswegen straffrei bleiben und – in Australien zumindest – keine Anzeige bei den zuständigen Behörden erfolgt.

Den Feststellungen der Kommission zufolge hat es seit 1950 über 1006 Fälle von Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas gegeben, von denen kein einziger bei den Behörden angezeigt worden ist. Geoffrey Jackson gibt sich optimistisch. Er sei glücklich, vor der Kommission Zeugnis ablegen zu können, beteuert er. Ob er das nach Ende der Befragung auch noch war, darf allerdings getrost bezweifelt werden. Der weitere Verlauf der Befragung stellt sich für ihn, den Repräsentanten, und damit für die Wachtturm-Gesellschaft nämlich als ein Fiasko dar. Ein Grund dafür könnte sein, dass Mr. Jackson sicher nicht gewohnt ist, dass ihm in seiner Führungsposition auf nahezu gottgleicher Ebene, wie es viele Zeugen empfinden, solche direkten Fragen gestellt werden. Daher hat er mit ausweichenden Antworten und seinem Bemühen, unbequeme Fragen zu ignorieren, heute keinen Erfolg hat. Schlimmer, er wird auf seinem Spezialgebiet mit seinen eigenen Waffen, seinen Bibelkenntnissen, geschlagen.

Worauf sich die Lehre der Zeugen Jehovas stütze, nach der zwei Zeugen einer Tat beigewohnt haben müssen, bevor ein Beschuldiger verurteilt werden könne, will die Kommission wissen. Jackson verweist auf die Schriftstelle 5. Mose 19:15. In Verbindung mit den Worten von Jesus Christus, wie sind in Matthäus 18:16 niedergelegt seien, ergebe sich eindeutig, dass es für jede Tat zwei Zeugen geben müsse, so Jackson.

Aber da hat er bei der Kommission kein Glück. Sie zeigt sich bestens vorbereitet. Wie er denn zu dem Sachverhalt stehe, wie er im gleichen Buch Mose im Kapitel 22:23-27 beschrieben werde, bei dem eine Frau vergewaltigt worden und der Täter trotz Abwesenheit eines weiteren Zeugen verurteilt worden sei. Daraus könne man doch folgern, dass es biblisch gesehen im Falle eines Sexualdelikts von der Zwei-Zeugen-Regel auch Abweichungen geben könne.

Das ist für Jackson eine neue Sichtweise. Der anfänglich so selbstsicher auftretende Zeuge kommt ins Schwimmen. So habe er die Angelegenheit noch nicht gesehen, räumt er anfänglich ein. Später will er in einer schriftlich nachgereichten Erklärung diese für ihn und seine Argumentation so katastrophale Wendung wieder korrigieren. Die genannte Schriftstelle hebe lediglich auf die Mitschuld des Opfers ab, wenn es nicht geschrien habe, woraus sich ein Einverständnis ableiten lasse und weniger auf die Schuldfrage. Aber diese ausweichende Erklärung verfängt nicht. Die Kommission reagiert empfindlich und bewertet seine neue Aussage als wenig hilfreich. Mehr noch, sie spricht ihm ab, dass man mit ihm vernünftig argumentieren könne.

Damit ist das Desaster der Anhörung für die Wachtturm-Gesellschaft aber noch keineswegs beendet. In einem anderen Punkt geht es nunmehr um die Frage, warum Frauen bei den Zeugen Jehovas von wichtigen Funktionen, wie der internen Gerichtsbarkeit beispielsweise, ausgeschlossen seien. Auf diesem Sektor fühlt sich Jackson sicher. Sehr energisch erklärt er, dass Frauen niemals als Älteste oder bei richterlichen Entscheidungen der Wachtturm-Gesellschaft eine Rolle spielen würden, weil es in der Bibel nie weibliche Richter gab. Die Bibel, so versichert er der Kommission, erwähne keine weiblichen Richter.

Ist das tatsächlich so? fragt einer der Juristen der Kommission. Wie verhalte es sich denn mit der Richterin Debora, die in Buch Richter 4:4,5 erwähnt wird. Diese Verse berichten von Debora, einer Prophetin, die auch als Richterin über Israel richtete und die Israeliten für ein Urteil sogar zu ihr hinaufzogen. Wie gesagt, es ist kein guter Tag für die Wachtturm-Gesellschaft. Eines ihrer leitenden Mitglieder blamiert sich vor den Mitgliedern der Untersuchungskommission ein weiteres Mal. Und das auf einem Gebiet, auf dem er sich doch als Fachmann den Laien überlegen zeigen müsste.

Jetzt geht es wieder um den sexuellen Missbrauch von Kindern in den Versammlungen. Befragt zu den Opfern gibt Jackson zu Protokoll, dass man sich sehr zuwendungsvoll und fürsorglich in den Versammlungen um die Betroffenen kümmere, was sich in der Praxis auch als erfolgreich erwiesen habe. Wie das bei ihm persönlich sei, will die Kommission zu seiner Überraschung von ihm wissen. Ob er sich beispielweise den Berichten von den schrecklichen Erfahrungen der Opfer zugewandt oder sich persönlich gekümmert habe.

Dazu habe er keine Zeit gehabt, antwortet Jackson ungerührt, da sein Vater gestorben sei, um den er sich gekümmert habe. Aber er habe großes Mitgefühl mit den Betroffenen und sorge sich sehr um diese, schiebt er nach. Peinlich für ihn nur, dass während der weiteren Befragung herauskommt, dass er trotzdem die Zeit hatte, sich jede einzelne Aussage den vorher erschienenen befragten Ältesten anzuhören, aber keine Gelegenheit fand, sich anzuhören, was die Opfer zu sagen hatten.

Damit rundet sich das Bild für die Royal Commission über Geoffrey Jackson ab. In seiner Zusammenfassung befindet der Hohe Rat, dass …

  • Geoffrey Jackson “ausweichend und nicht hilfreich” war, wenn es um wichtige Verhaltensweisen ging, wie sich seine Organisation bei Kindesmissbrauch verhält,
  • sich seine Aussagen über Mitgefühl und Sorge für die Opfer von Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas von seinen Taten deutlich unterscheiden und
  • die biblischen Argumente der Wachtturm-Gesellschaft über die Zwei-Zeugen-Regel und der männlichen Ältesten nur auf Schriftstellen beruhen, die aus dem Kontext gerissen wurden und andere Texte außer Acht lassen.

Auch in der anschließenden Diskussionsrunde kann Jackson den verlorenen Boden nicht wiedergutmachen. „The damage is done“, wie die Engländer sagen. Der Schaden ist da und die nachträglich vorgebrachten Erklärungen und Erläuterungen machen die Angelegenheit für die Wachtturm-Gesellschaft nur schlimmer. Die Royal Commission wird der australischen Regierung einen Abschlussbericht mit Empfehlungen vorlegen, von dem sich für die Organisation der Zeugen Jehovas nach dem jetzigen und abschließenden Stand der Untersuchungen nur wenig Gutes erwarten lässt.

Daraus ergibt sich, dass …

  • Kindesmissbrauch in der Wachtturm-Gesellschaft, in der „Organisation Gottes“, stattfindet,
  • die Bibelkenntnis der leitenden Körperschaft, des „MItteilungskanal Gottes“, vor Gericht blamierend gering ist und sie nicht den Geist YHWH haben (Matthäus 10:19, 20),
  • „Weltmenschen“ mehr aus der Bibel wissen, als die Führung der Zeugen Jehovas,
  • die leitende Körperschaft ihre Mitglieder bewusst täuscht und belügt, da zuvor öffentlich im Broadcasting versichert wurde, dass YHWH „seine Organisation“ vor pädophilen Täter schütze und Kindesmissbrauch nicht vorkomme, dies alles nur die Lügen von „bösen Abtrünnigen“ seien,
  • keiner Absprache zwischen der Führung, der leitenden Körperschaft, stattfindet, da einzelne Mitglieder des Führungsgremium unterschiedliche Aussagen treffen,
  • der Schöpfer keinen „treuen und verständigen Sklaven“ in der Form einer leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas erwählt hat, der solch einen Schmach auf den heiligen Gottesnamen bringt.