Liebe Mama, lieber Papa, liebe J.,

es fällt mir nicht leicht, Euch diesen Brief zu schreiben, aber ich hege schon so lange diesen Gedanken, dass ich ihn nun einfach schreiben muss – unabhängig davon, wie schwer oder einfach mir das nun auch fallen mag. Wahrscheinlich gibt es nicht „die richtigen“ Worte, die ich hier wählen kann, aber manchmal kommt es vermutlich gar nicht darauf an, etwas auf die „falsche“ oder „richtige“ Art und Weise zu sagen, sondern es überhaupt zu sagen. Ich glaube, seit unserem letzten Kontakt sind vier Monate vergangen, ganz sicher bin ich nicht, vielleicht waren es auch fünf. In jedem Fall waren es Wochen, in denen wir kein Wort miteinander gewechselt, nicht telefoniert und uns auch nicht gesehen haben. Und mit diesem Brief möchte ich, dass genau das auch weiterhin so bleibt. Ich weiß, dass ich nicht die Tochter bin, deren Lebenswandel ihr Euch gewünscht habt oder hättet und vermutlich bin auch diejenige, bei der Ihr, zumindest am Anfang nicht gedacht hättet, dass sie diesen Weg einschlägt. Aber das, was ihr „Zur Vernunft kommen“ nennt, Euren Wunsch, zurück zur „Wahrheit“ zu kehren kann und will ich nicht erfüllen und deswegen glaube ich fest, dass es das Beste ist, wenn wir unseren so schmal gewordenen Kontakt zum Erliegen bringen.

Ich bin Euch, wahrscheinlich entgegen dem, was Ihr glaubt, dankbar für das, was Ihr mir ermöglich habt. Ich weiß, dass ich ohne Euch, Mama und Papa, nicht auf dieser Welt wäre. Ich konnte Euren Ansprüchen nicht genügen und ich werde Euren Ansprüchen, die eng mit der „Wahrheit“ verknüpft sind, niemals genügen. Vielleicht bin ich der Vogel, der in den Lüften wohnt und Ihr die Fische im Wasser. Und vielleicht sind unsere Welten zu weit auseinander entfernt und eine Annäherung ohne Verletzung nicht möglich. Ich habe inzwischen verstanden, dass es unmöglich ist, Eure bedingungslose Liebe zu erhalten, so wie ich begriffen habe, dass ich diese nur dann bekommen kann, wenn ich zurück zur „Wahrheit“ finde. Ich akzeptiere Euch und Eure Gedanken und auch, dass ihr fest verankert in Eurem Glauben seid.

Aber ich kann diesen Glauben für mich nicht teilen und ich will meine Liebe nicht an ein Aber knüpfen. Ich will mein Leben leben, ohne ständig befürchten zu müssen, dass Ihr eines Tages den Kontakt zu mir abbrecht, weil ich Eure Hoffnung, zurückzukehren nicht erfüllen kann. Ich habe Euch enttäuscht, aber an dieser Stelle mag ich sagen, dass es mir mit Euch nicht anders geht. Denn das, was ich gewünscht und gebraucht hätte, wäre bedingungslose Liebe gewesen. Das Gute aber an Ent-Täuschung ist, dass die Täuschung über einen Irrglauben zu Ende ist. Man sieht anders, man sieht klarer, egal wie groß der Schmerz auch sein mag. Ich mag mir keine Gedanken mehr darüber machen, dass vieles von dem, was ich mir in meinem Leben erhoffe und nach dem ich strebe, für Euch ohne Bedeutung oder gar falsch und verwerflich ist. Von Eurer Warte aus mag ich ein verlorenes Schaf sein, eine verlorene Tochter.

Aber von meiner Warte aus bin ich ein Mensch, der seinen Weg geht und ich glaube, ich habe in all der Zeit mit Euch, mit der „Wahrheit“ aber auch danach sehr viel über mich und über das Leben gelernt. Ich kann keinen Kontakt mehr zu Euch halten und vielleicht helfe ich auch Euch damit, denn es „heißt, dass loyale Christen keine religiöse Gemeinschaft mit jemandem haben, der aus der Versammlung ausgeschlossen wurde. […] Die früheren geistigen Bande sind völlig aufgelöst worden. Das trifft selbst auf seine Angehörigen zu, auch auf die im engsten Familienkreis.“ (Unser Königreichsdienst, 8/02, Seite 3, Absatz 3-7, „Christliche Loyalität bekunden, wenn ein Verwandter ausgeschlossen ist)“. Wenn Ihr Euch fragt: „Ist es wirklich nötig, den Kontakt völlig abzubrechen? Ja, aus mehreren Gründen […] In seltenen Fällen könnten es gewisse Familienangelegenheiten zwar erfordern, dass man mit dem Ausgeschlossenen begrenzt Kontakt hat, doch sollte dieser auf ein Minimum beschränkt werden […] Durch den Verlust lieb gewordener Kontakte zu Freunden und zur Familie kommt er womöglich „zur Besinnung“ […] Aus Herzenstreue gegenüber Jehova und seiner Organisation wird er die biblische Regelung des Gemeinschaftsentzugs nicht unterlaufen.“ (Bewahrt euch in Gottes Liebe, Seite 209, „Wie man sich gegenüber Ausgeschlossenen verhalten sollte“)“.

Ich glaube, unser Kontakt ist ohnehin schon auf ein Minimum beschränkt aber ich werde nicht zurückkehren. „Was aber, wenn wir mit jemand, der ausgeschlossen werden musste, verwandt oder eng befreundet sind? Dann steht jetzt unsere Treue auf dem Prüfstand, und zwar nicht gegenüber dieser Person, sondern gegenüber unserem Gott. Jehova schaut nun darauf, ob wir uns an sein Gebot halten, keinen Kontakt mehr mit jemandem zu haben, der ausgeschlossen ist. (Lies 1. Korinther 5:11-13.) […] Da jedoch keiner aus seiner Familie auf ihn zuging, um sich mit ihm auszutauschen, war der starke Wunsch, wieder mit ihnen zusammen zu sein, eines der Motive dafür, seine Freundschaft mit Jehova zu reparieren. Gibt einem das nicht zu denken, falls man je versucht sein sollte, sich über Jehovas Gebot hinwegzusetzen und mit ausgeschlossenen Angehörigen Umgang zu haben?“ (Wachtturm, 15.04.2012, Seite 12 „Verrat — Ein bedrohliches Zeichen der Zeit“)“

Ich danke Euch für die gemeinsame Zeit die wir hatten und für das, was Ihr mir gegeben habt. So wie ich Euch auch für das Danke, was ich nicht hatte und was Ihr mir nicht gegeben habt. Meine Liebe ist nicht an ein „aber“ geknüpft. Und wenn ich nur dann liebens-wert bin, wenn ich in der „Wahrheit“ bin, dann möchte ich diese noch weniger. „Die Ausübung von Zwang in seelischen Bereichen ist das schlimmste Verbrechen, dessen sich Menschen schuldig machen können“ (Erich Limpach (1899 – 1965), deutscher Dichter, Schriftsteller und Aphoristiker).

Ich wünsche Euch alles Gute und ich hege keinen Groll gegen Euch. Wenn jemals die Zeit kommen sollte, in der Ihr mich braucht, werde ich da sein. Bis dahin aber ist es besser, wenn wir getrennte Wege gehen. Gerne dürft Ihr mich enterben. Ein handschriftliches Schreiben, das notariell beglaubigt ist, füge ich diesem Brief bei. Ich möchte nichts haben und nicht in Eurer Schuld stehen.

Lebt wohl

 

Was lehrt die Bibel über das Verhalten von wahren Christen sowie über die Isolation und den Kontaktabbruch der eigenen Familienmitglieder?

Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe, daß auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe unter euch habt.“ (Johannes 13,34-35)

Ihr habt gehört, daß gesagt wurde: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.‘ Doch ich sage euch: Fahrt fort, eure Feinde zu lieben und für die zu beten, die euch verfolgen, damit ihr euch als Söhne eures Vaters erweist, der in den Himmeln ist, da er seine Sonne über Böse und Gute aufgehen und es über Gerechte und Ungerechte regnen läßt. Denn wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Steuereinnehmer dasselbe? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr da Besonderes? Handeln nicht auch die Leute von den Nationen ebenso? Ihr sollt demnach vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ (Matthäus 5,43-48)

Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Fahrt fort, eure Feinde zu lieben, denen Gutes zu tun, die euch hassen, die zu segnen, die euch fluchen, für die zu beten, die euch beleidigen. Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halte auch die andere hin; und dem, der dir dein äußeres Kleid wegnimmt, enthalte auch nicht das untere Kleid vor. Gib jedem, der dich bittet, und von dem, der dir das Deine wegnimmt, fordere [es] nicht zurück.“ (Lukas 6,27-30)

Da aber der Mann beweisen wollte, daß er gerecht sei, sagte er zu Jesus: „Wer ist in Wirklichkeit mein Nächster?“ In Erwiderung sagte Jesus: „Ein gewisser Mensch ging von Jerusalem nach Jẹricho hinab und fiel unter Räuber, die ihn auszogen und ihm auch Schläge versetzten und weggingen und ihn halb tot zurückließen. Nun traf es sich, daß ein gewisser Priester jenen Weg hinabging, doch als er ihn sah, ging er auf der entgegengesetzten Seite vorüber. Ebenso ging auch ein Levịt, als er an die Stelle hinabkam und ihn sah, auf der entgegengesetzten Seite vorüber. Aber ein gewisser Samarịter, der des Weges zog, kam zu ihm, und als er ihn sah, wurde er von Mitleid bewegt. Und er trat an ihn heran und verband ihm seine Wunden, wobei er Öl und Wein auf sie goß. Dann hob er ihn auf sein eigenes Tier und brachte ihn in eine Herberge und sorgte für ihn. Und am nächsten Tag zog er zwei Denạre heraus, gab sie dem Herbergswirt und sprach: ‚Sorge für ihn, und was immer du darüber ausgibst, will ich dir zurückzahlen, wenn ich hierher zurückkomme.‘ Wer von diesen dreien hat sich, wie es dir scheint, als Nächster des Mannes erwiesen, der unter die Räuber fiel?“ Er sagte: „Derjenige, der ihm gegenüber barmherzig handelte.“ Darauf sprach Jesus zu ihm: „Geh hin, und handle selbst ebenso.““ (Lukas 10,29-37)

Wenn dein Feind hungrig ist, speise ihn; wenn er durstig ist, gib ihm etwas zu trinken; denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt häufen. Lasse dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse stets mit dem Guten.(Römer 12,20-21)

Seid niemandem irgend etwas schuldig, außer daß ihr einander liebt; denn wer seinen Mitmenschen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn das geschriebene Recht: „Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht morden, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren“ und was immer für ein Gebot es sonst noch gibt, ist in diesem Wort zusammengefaßt, nämlich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu; daher ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes. (Römer 13,8-10)

Jesus aber ging an den Ölberg. Bei Tagesanbruch jedoch fand er sich wieder im Tempel ein, und das ganze Volk begann zu ihm zu kommen, und er setzte sich nieder und begann sie zu lehren. Nun brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau herbei, die beim Ehebruch ertappt worden war, und sie stellten sie in ihre Mitte, und sie sagten zu ihm: „Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden. Im GESETZ schrieb uns Moses vor, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du nun dazu?“ Natürlich sagten sie das, um ihn auf die Probe zu stellen, damit sie einen Grund zur Anklage gegen ihn hätten. Jesus aber beugte sich nieder und begann mit seinem Finger auf die Erde zu schreiben. Als sie aber dabei beharrten, ihn zu befragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“ Und sich wieder vornüberbeugend, schrieb er weiter auf die Erde. Diejenigen aber, die das hörten, begannen hinauszugehen, einer nach dem anderen, angefangen bei den älteren Männern, und er wurde allein zurückgelassen mit der Frau, die in ihrer Mitte war. Sich aufrichtend, sagte Jesus zu ihr: „Frau, wo sind sie? Hat dich keiner verurteilt?“ Sie sagte: „Keiner, Herr.“ Jesus sprach: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin; treibe von nun an nicht mehr Sünde.““ (Johannes 8,1-11)

Und wie ihr wollt, daß euch die Menschen tun, so tut auch ihnen. (Lukas 6,31)

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe. (1. Korinther 13,13)

Bestimmt hat jemand, der für die Seinigen und besonders für seine Hausgenossen nicht sorgt, den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger. (1. Timotheus 5,8)

Ehre deinen Vater und deine Mutter, welches das erste Gebot mit einer Verheißung ist. (Epheser 6,2)

„Und ihr Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern erzieht sie in der Zucht und Ermahnung des Herrn.“ (Epheser 6,4; Kolosser 3,21)

Ihr aber behauptet, dass man seinen hilfsbedürftigen Eltern die Unterstützung verweigern darf, wenn man das Geld stattdessen für ›Korban‹ erklärt, das heißt, es Gott gibt. Dann hätte man nicht gegen Gottes Gebot verstoßen. In Wirklichkeit habt ihr damit aber nur erreicht, dass derjenige seinem Vater oder seiner Mutter nicht mehr helfen kann. Ihr setzt also durch eure Vorschriften das Wort Gottes außer Kraft. Und das ist nur ein Beispiel für viele.(Markus 15,11-13)

Denn Gott hat gesagt: „Du sollst Vater und Mutter ehren“, und: „Wer Vater oder Mutter schmäht, der soll des Todes sterben.“ Ihr aber lehrt: Wer zu Vater oder Mutter sagt: „Eine Opfergabe soll sein, was dir von mir zusteht“, der braucht seinen Vater nicht zu ehren. Damit habt ihr Gottes Wort aufgehoben um eurer Überlieferung willen. Ihr Heuchler, richtig hat Jesaja von euch geweissagt und gesprochen: „Dies Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir; vergeblich dienen sie mir, weil sie lehren solche Lehren, die nichts als Menschengebote sind; Irrt euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.“ (Matthäus 15,4-9; Galater 6,7)

 

Siehe auch:
Kontaktverbot und Isolation – die Wahrheit des Gemeinschaftsentzuges und Ausschlusses
Psychische Erkrankungen: Die Folgen des familiären Kontaktverbotes