In dem Prozess Lopez gegen die Wachtturmgesellschaft der Zeugen Jehovas (WTG) hat das von Gesellschaft angerufene US-Berufungsgericht (Fourth District Court of Appeal) entschieden, dass die Geldstrafe von mehr als 13 Mio. USD unangemessen sei und den Fall zur Neuverhandlung an das zuständige Gericht San Diego Superior Court zurückverwiesen.
Das Gericht in San Diego hatte die hohe Geldstrafe verhängt, nachdem sich die Wachtturmgesellschaft geweigert hatte, dem Gericht die geforderten Dokumente zu Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in den eigenen Reihen zu überlassen.
Der Kläger Jose Lopez hatte gegen die Wachtturmgesellschaft Klage eingereicht, weil sie über den an ihm über lange Jahre begangenen sexuellen Missbrauch durch den Mitzeugen Gonzalo Campos informiert gewesen sei, aber nichts zu seinem Schutz unternommen habe.
Sein Anwalt Irwin Zalkin hatte den Antrag gestellt, dass die Wachtturmgesellschaft ihre Dokumentation über sexuellen Missbrauch an Kindern in ihren Reihen vorlegen solle, da das Verhalten der Gesellschaft offenbar eine langjährig geübte Praxis sei, was für die Beurteilung der Verantwortlichkeit von Bedeutung sei. Diesem Antrag hatte das Gericht stattgegeben und auf die Weigerung der Gesellschaft hin die genannte Geldstrafe verhängt.
Nunmehr konnte die WTG in ihrer Anfechtung einen Teilerfolg erzielen. Das Berufungsgericht gab ihrer Argumentation zwar statt, allerdings nur hinsichtlich der Höhe der verhängten Strafe. Zunächst hätte versucht werden sollen, die Vorlage der verlangten Dokumente mit „angemesseneren Mitteln“ durchzusetzen, so die Auffassung der Berufungsrichter.
Dagegen stemmt sich jedoch die Wachtturmgesellschaft unverändert und verweigert, wie auch im Falle der Aussageverweigerung von Gerrit Lösch deutlich geworden ist, jeglichen Einblick in die Dokumentation der Organisation über Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen.
In ihrer ablehnenden Stellungnahme zur Einvernahme von Lösch versuchte die WTG darzulegen, dass er als Mitglied der leitenden Körperschaft nichts mit der eigentlichen Führung der Gesellschaft zu tun habe. Er sei eher als geistiges Mitglied anzusehen, vergleichbar dem Dalai-Lama, und könne von daher als Zeuge keine Aussage zu dem infrage stehenden Sachverhalt tätigen.
Soweit es die eigentliche Existenz der Missbrauchsdokumente betrifft, besteht dagegen kein Zweifel. Bereits im laufenden Verfahren von Lopez hatte der Vertreter der WTG eingeräumt, dass diese Aufzeichnungen vorhanden sind, ihre Überlassung an das Gericht jedoch unmissverständlich verweigert.
Die WTG werde sich keiner diesbezüglichen gerichtlichen Anordnung fügen, erklärte ihr Anwalt.
Aus Sicht der Gesellschaft erscheint dieses Verhalten verständlich, da davon ausgegangen wird, dass eine Offenlegung der unter Verschluss gehaltenen Fälle für sie der Öffnung der mythischen Pandora-Büchse gleichkommen würde. Zumindest, soweit es die darauf für sie zu erwartenden Übel betrifft.
Die frühere Mitarbeiterin in dem Wachtturmhauptquartier in Brooklyn, Barbara Anderson hatte bereits vor Jahren darüber berichtet, dass der Gesellschaft weltweit mehr als 20.000 Fälle von Kindesmissbrauch in ihren Versammlungen bekannt seien, die entsprechenden Akten jedoch geheim gehalten würden. Und das, ohne dass behördliche Maßnahmen eingeleitet wurden oder die Organisation auf andere Weise wirkungsvoll eingeschritten sei.
Ob der jetzt demonstrativ gezeigten Verweigerungshaltung der WTG letztendlich Erfolg beschieden sein wird, darf getrost bezweifelt werden. Das Gericht in San Diego hat bereits zu erkennen gegeben, dass es unverändert auf Vorlage der Dokumente besteht und seine Forderung mit entsprechenden Sanktionen auch durchzusetzen gedenkt.
Am Ende einer vorbedachten und vom Berufungsgericht so verlangten Kette von milderen Sanktionen bis zu härteren Maßnahmen, dürfte man schon bald vor der gleichen Situation stehen wie zuvor, sollte die WTG unverändert halsstarrig bleiben. Vielleicht kommt es sogar wieder zu einer Geldstrafe in gleicher Höhe.
Für die Wachtturmgesellschaft geht es schließlich um mehr – erheblich mehr:
„Sie wollen nicht, dass die ganze Welt erfährt, dass sie über den sexuellen Missbrauch in ihrer Organisation seit Jahrzehnten informiert waren und sich nur verzweifelt darum bemühten, alles zu vertuschen,“ sagt der Anwalt des Klägers Lopez, Irwin Zalkin.
Dem ist nichts hinzuzufügen!
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